350 Jahre Ursulinen: Sr. Zorica Blagotinšek im Gespräch
Mit offenem Herzen leben

Die Priorin der Klagenfurter Ursulinen über beständige Erneuerung, Offenheit für die Stimme Gottes und die Gefahr schneller Bewertungen.
von Georg Haab

Vergangene Woche haben Sie mit Bischof Josef und Vertretern aus Kirche und Politik gefeiert, dass vor 350 Jahren – 1670 – die ersten Ursulinen nach Klagenfurt gekommen sind. Was bedeutet das für Sie?
Blagotinšek: Wir können aus der Geschichte lernen: Wie begeistert müssen die fünf Schwestern gewesen sein, als sie im April 1670 aus Wien gekommen sind und schon im Juni mit 12 Mädchen begonnen haben! Aus etwas sehr Kleinem und Einfachem konnte sich auf diese Weise etwas Großes entwickeln. Ebenso sieht man eine Offenheit zu den Veränderungen: Die Schwestern haben immer wieder versucht, die Bedürfnisse in Klagenfurt und Umgebung wahrzunehmen und darauf zu antworten. Es gab in der Geschichte verschiedene Schulformen, von denen einige geblieben sind und andere sich verändert haben. Wenn eine Mutter sagt „Meine Mutter war hier, ich war hier, ich möchte, dass auch meine Kinder hier zur Schule gehen können“, merkt man, dass das persönliche Eingehen auf Personen im Geist der hl. Angela Merici wirksam ist. Wir haben mehr Anfragen als Plätze, sowohl in Kindergarten und Hort als auch in den Schulen, das ist schon lange so. Mit dieser Ausrichtung möchten wir weitergehen: das Gedächtnis bewahren, den Geist der hl. Angela pflegen in Bezug auf Ausbildung und auch auf heutige Bedürfnisse antworten. Deshalb ist zu erwarten, dass es auch in der Zukunft zu Veränderungen kommen wird.

Was war die Ursprungsidee, die Angela Merici den Orden gründen ließ?
Blagotinšek: Das Besondere bei Angela Merici war ihre Offenheit für Frauen und Mädchen, die sich nicht in der Klausur eines Klosters gesehen haben oder als Verheiratete, sondern ihren Weg als geweihte Frauen in der Welt gehen wollten. Mit ihrem Leben hat sie in ihrer Zeit gezeigt, wie wichtig es ist, auf Menschen zuzugehen und ihnen in allen Lebenssituationen zur Seite zu stehen. Mit der Zeit hat sich dann das starke Engagement des Ordens für die Ausbildung entwickelt. Weltweit ist das heute unsere stärkste Sendung.

Das Eingehen auf die aktuellen Bedürfnisse der Menschen gehört zur Gründungsidee Ihres Ordens. Welchen Bedarf sehen Sie heute?
Blagotinšek: Die hl. Angela hat durch ihre Beobachtungen die Bedürfnisse erkannt und darauf geantwortet, nachdem sie sie im Gebet betrachtet und sich mit anderen beraten hat. Es scheint, dass Menschen heute Orte suchen, an denen sie in guten Beziehungen leben können: nicht in dem Sinn, dass alles ohne Konflikte ist, aber doch so, dass ein „insieme“, eine Gemeinsamkeit in Verschiedenheit, möglich ist. Eltern suchen Orte für die Ausbildung ihrer Kinder, vom Kindergarten an, die eine Sicherheit geben, dass das Kind so gesehen wird, wie es ist, und dass es sich auch als Persönlichkeit entwickeln kann. Die spirituelle Ebene zu pflegen, ist nicht der erste Grund, dass unsere Schule gewählt wird, eher ihre Qualität im umfassenderen Sinn.

Bischof Josef Marketz hat Angela Merici als „moderne Heilige und Vorbild für unsere Zeit“ zitiert: „Hal-tet euch an den alten Weg, aber lebt ein neues Leben.“ Wie übersetzen Sie das in die Gegenwart?

Blagotinšek: Dieser Satz der hl. Angela hat vor zwei Jahren auch unser Generalkapitel in Rom geprägt. Schwestern aus allen Provinzen haben sich gefragt, was das für unsere Schwerpunktsetzung bedeutet. Persönlich glaube ich, dass es darum geht, unsere Wurzeln als Ursulinen zu spüren: Wer sind wir heute? Wo leben wir und was können wir beitragen, dass Gott durch uns wirkt? Es geht nicht darum, uns durch unsere Arbeit zu präsentieren, sondern zuzulassen, dass Gott durch uns präsent ist und wirken kann. Diese Offenheit bedeutet aber auch, etwas loszulassen, was vielleicht viele Jahre sehr stark war, und sich auf etwas Neues einzulassen: in der Art und Weise, wie wir leben, wie wir ausbilden, wie wir Gott verkündigen. In der Taufe haben wir das neue Leben bekommen – es ist wichtig, dass wir es auch pflegen.

Wie kann ich dieses neue Leben, von dem Sie sprechen, pflegen?
Blagotinšek: Neues Leben zu pflegen bedeutet, sich daran zu erinnern, was Gott in der Geschichte und in unserem Leben schon getan hat. Das bedeutet auch, dass nicht nur ich allein vor Gott stehe, sondern dass ich mich mit den anderen verbinde und wir gemeinsam suchen, was Gott heute von uns erwartet. Das bedeutet auch, immer mit einem prophetischen Einsatz zu leben, nicht nur mit dem Strom der Gesellschaft mitzuschwimmen.

Suchen, was Gott heute von uns erwartet: Wie erspüren Sie das?
Blagotinšek: Wie kann man entdecken, was Gott wirkt? Durch Gebet; durch Gemeinschaft, in der man sich austauscht; durch Lesen, und indem man sich mit dem Wort Gottes in der Hl. Schrift auseinandersetzt. Gott zu entdecken bedeutet auch, unser Ego einmal ein wenig in den Hintergrund zu rücken.
Gott ist der, der uns zuerst sucht; er ist der, der uns entgegenkommt. Deshalb ist es wichtig, mit offenem Herzen zu leben und seine Sehnsucht zu spüren. Dann kann ich auch spüren, wie Gott sich in mir entfalten möchte. Natürlich verlangt das auch die Demut, dass ich nicht schon aus mir selbst heraus alles beherrsche und alles weiß. Und dass ich bereit bin, mit dem Heiligen Geist Freund zu werden und mich überraschen und bewegen zu lassen. Das verlangt auch, nicht zu schnell zu bewerten und zu beurteilen, was jemand tut oder nicht tut, wie jemand sich verhält oder verhalten soll oder wie Entscheidungen in Kirche und Gesellschaft getroffen werden. Die Pandemie hat uns jetzt eine große Möglichkeit dazu gegeben, z. B.: Was sind die Möglichkeiten dieser neuen Situation, was öffnet sich neu? Und nicht nur auf das schauen, was nicht möglich ist.

Von der Idee zum konkreten Leben: Was tun die Schwestern heute in Klagenfurt?

Blagotinšek: Wir erleben immer mehr, wie auch Bischof Josef bei der Jubiläumsmesse gesagt hat, eine betende Gemeinschaft. Jede einzelne und auch wir zusammen. Wir leben in der Hoffnung, dass das auch in anderen neues Leben unterstützt. Wir pflegen die Gastfreundlichkeit, auch wenn das durch die Covid-Maßnahmen eingeschränkt war. Wir engagieren uns in der Bildung, wie z. B. Sr. Christiane als Religionslehrerin und andere in geringerem Ausmaß. Eine Antwort auf andere Bedürfnisse vor Ort gibt Sr. Grete, die mit Obdachlosen arbeitet. Alltagsleben ist bei uns auch sehr verbunden mit den Angestellten, auf deren Unterstützung wir angewiesen sind, im Konvent, in der Reinigung, in der Küche, in der Schule. Auch wie wir mit dem Alter und mit verschiedenen Nationalitäten umgehen, ist ein Zeugnis ohne Worte.

Die jungeKirche hat angefragt, das Jugendzentrum Point in Ihre Räumlichkeiten verlegen zu dürfen?
Blagotinšek: Auch damit möchten wir auf heutige Bedürfnisse aufmerksam sein und antworten. Auf dem Heiligengeistplatz sind viele Jugendliche. Wir sind bereit, unser Archiv zu übersiedeln in der Hoffnung, diese schöne Idee für Klagenfurt zu unterstützen. Man sieht aber, dass eine solche neue Lösung viel Zeit braucht. Wir hoffen weiter, dass es dazu kommt! Es wäre für uns eine große Freude.

Autor:

Gerald Heschl aus Kärnten | Sonntag

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