Toleranzgespräche in Fresach
Exodus - vom Verlassen des Gewohnten
Vom 27. bis 30. Mai 2020 finden die „Eurpäischen Toleranzgespräche“ trotz Corona-Pandemie statt – online auf www.fresach.org.
von Gerald Heschl
Aus heutiger Sicht mutet das Motto der diesjährigen „Europäischen Toleranzgespräche“ fast prophetisch an. Fresach werde mit den Toleranzgesprächen 2020 einen weiteren Meilenstein setzen, versichert der evangelische Superintendent Manfred Sauer, Mastermind hinter den Toleranzgesprächen. „Wenn die Welt auf den Kopf gestellt wird und nichts mehr so ist wie es war, wird der Exodus aus dem gewohnten Leben und Arbeiten zur Normalität, der Auszug aus dem Vertrauten zur Realität. Was wir zum Zeitpunkt der Konferenzplanung überhaupt nicht voraussehen konnten, ist nun eingetreten. Wir diskutieren daher schon jetzt über die Folgen und den Neustart.“
Die Veranstalter freuen sich aber, dass es dennoch gelungen ist, das umfangreiche Programm mit Ausnahme der geselligen Termine aufrechtzuerhalten - nur eben im Internet.
Schon bei der Präsentation in der Vor-Corona-Zeit meinte Sauer zum Thema der Toleranzgespräche: „Vermeintlich Altbewährtes bricht auf, Jahrhunderte alte Strukturen werden hinterfragt und Gemeinschaften, die Generationen getragen haben, werden verlassen. Leben wir im Zeitalter des Exodus – des Auszugs?“ Allerdings wittert er dahinter keinen Kulturkampf und schon gar nicht den Untergang des Abendlandes. Denn diese Auf- und Umbrüche hat es immer gegeben. Dazu braucht es nur einen Blick in die Bibel, genauer ins Alte Testament. Dort gibt es nicht nur das Buch „Exodus“ vom Auszug der Israeliten aus Ägypten. Nein, das Volk Israel an sich ist ein Volk, das im ständigen Aufbruch ist. Gott hat die Juden in die Freiheit geführt – aber dieser Weg ist steinig und alles andere als ein Spaziergang.
So gesehen ist „Exodus“ durchaus ein theologisches Thema. Es ist aber mehr: Im Rahmen der Veranstaltung wird man brandheißen, aktuellen Themen nachgehen. Denn natürlich befinden auch wir uns in einer Zeit des Aufbruchs. Stichworte, die bei der Präsentation des diesjährigen Programmes fielen, sind: der digitale Wandel, die Klimakatastrophe, neue Doktrinen in Wirtschaft und Industrie, im Tourismus Fragen wie „Overtourism“ und Nachhaltigkeit. Nicht zuletzt Corona wird nun auch ein zentrales Thema der Diskussionen werden. Denn mit der Pandemie hat sich das gesellschaftliche, wirtschaftliche und religiöse Leben nicht nur in Österreich, sondern weltweit massiv verändert.
Vertraute Umgebungen und Gemeinschaften sehen sich einem „Exodus“ im weitesten Sinne gegenüber. Dompropst Engelbert Guggenberger sprach bei der Präsentation des Programmes auch vom schmerzhaften Exodus vieler Kirchenmitglieder, den ja nicht nur die katholische Kirche zu spüren bekommt. Was sind die Antworten darauf? Dem geht eine eigene Podiumsdiskussion nach, die sich u. a. der Frage widmet: Wer übernimmt in Zukunft die Seelsorge? Die Kirchen werden unter dem Blickwinkel des Priestermangels, der demografischen Entwicklung, ihrer schwindenden Bedeutung und fehlenden Bindung betrachtet. Man darf gespannt sein, welche Lösungsansätze in Fresach entwickelt werden. Sind es vielleicht die Online-Messen, die in Zeiten von Corona überall aus dem Boden schießen? Oder wird es die Hauskirche sein, die derzeit eine neue Form des Glaubenslebens bildet?
Aber natürlich dreht sich Fresach nicht nur um Kirchen. Ein ganz breiter Raum wird dem Zukunftsthema „Klimawandel“ gewidmet. Ein Thema, das auch durch Corona nicht gestoppt wird und weiterhin für die Zukunft der Menschheit aktuell bleibt.
Als Eröffnungsredner am 28. Mai konnte Ernst Ulrich von Weizsäcker gewonnen werden. Der ehemalige Präsident des „Club of Rome“, der schon in den 70er-Jahren die Klimakrise prophezeite, spricht über den Exodus und was der Klimawandel mit uns zu tun hat. Anlassbezogen wohl auch darüber, wie Corona die Welt verändert und was das für Gesellschaft und Klima bedeutet. Bischof Josef Marketz wird mit ihm und dem Präsidenten des Kuratoriums der Europäischen Toleranzgespräche, Hannes Swoboda, am Donnerstag über das Thema „Vom Verzicht zum Gewinn“ diskutieren und aus seiner Sicht darlegen, „was Covid-19 mit uns gemacht hat und wie der Aufbruch in eine neue Freiheit gelingt“.
Schon am Vortag beschäftigt ich das Jugendforum mit den „Fridays for Future“. Sollte es im Tourimsusforum ursprünglich um ressourcenschonendes Reisen gehen, so steht auch dort die Frage im Zentrum: Wie geht es mit dem Tourismus angesichts der Corona-Pandemie weiter?
Hochkarätig behandelt werden auch die Themen Wirtschaft und Politik. Magna-Europa-Chef Günther Apfalter spricht darüber, wie sich die Autobranche in Zeiten von Corona und Klimawandel neu erfindet und WIFO-Chefin Margit Schratzenstaller erläutert ein gerechtes Steuersystem.
Ob wir vor dem Ende der Wirtschaft stehen, wie wir sie bisher kennen, fragt der Zukunftsforscher Patrick D. Cowden. Der Bestseller-Autor wird dabei auch auf die anstehende welweite Rezession eingehen und was die staatlichen Fördermaßnahmen bewirken.
Bodenständiger und regional geht Rainer Langosch den „Armen Bauern“ nach und erläutert, die radikalen Veränderungen, die auf Europas Landwirte zukommen.
Jugendlich präsentiert sich das Rahmenprogramm: In einem „Poetry Slam Festival“ treten die bekanntesten Vertreterinnen und Vertreter dieser Literatur-Zunft auf.
Der „Auszug aus dem Vertrauten“ lässt derzeit niemand kalt. Die Toleranzgespräche bieten auch Online die Möglichkeit, sich mit internationalen Experten auszutauschen.
Ab 27. Mai ist man im Internet unter www.fresach.org, unter dem hashtag #ETG oder auch auf Youtube, Twitter und Facebook live dabei.
Autor:Gerald Heschl aus Kärnten | Sonntag |
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