Dietmar Winkler, Ostkirchen-Experte im Gespräch
Die russisch-orthodoxe Kirche wird von der Politik vereinnahmt

Patriarch Kyrill und Vladimir Putin: „Symphonie von Kirche und Staat“ | Foto: Foto: kath.ch/novski
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Der Salzburger Professor für Patristik und Kirchengeschichte über die Geschichtsfälschung Putins, die Lage der orthodoxen Kirche und die Friedensbemühungen des Papstes

Vladimir Putin hat den Krieg gegen die Ukraine vor allem mit historischen Argumenten begründet, darunter auch den Schutz orthodoxer Christen. Wie weit ist es berechtigt und wie weit Lüge?
WINKLER: Die Rede Putins zum Beginn des Krieges ist historisch absolut nicht nachvollziehbar. Es ist eine Geschichtskonstruktion aus verschiedenen Bausteinen der letzten 1000 Jahre. Genauso verhält es sich mit dem behaupteten Schutz Russisch-Orthodoxer in der Ukraine. Es gibt innerorthodoxe Spannungen, diese sind aber alles andere als eine Verfolgung und rechtfertigen in keiner Weise einen militärischen Einmarsch.

Um die ukrainische Orthodoxie gab es in jüngster Zeit heftige Auseinandersetzung mit dem Moskauer Patriarchat. Spielt das auch eine Rolle im aktuellen Krieg?
WINKLER: Es gibt die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche, die vom ökumenischen Patriarchat in Konstantinopel 2019 als autokephale – also eigenständige – Kirche anerkannt wurde. Moskau selbst und jene Kirchen, die eng mit Moskau verbunden sind, wie die Serbisch-Orthodoxen, haben diese Kirche noch nicht anerkannt. Es führte auch zu einem heftigen Streit zwischen Konstantinopel und Moskau. Dann gibt es die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche, die nach wie vor dem Moskauer Patriarchat untersteht. Aber auch diese hat Putin aufgefordert, den Angriff einzustellen mit dem Argument: Es gibt keine Rechtfertigung für Krieg – weder vor Gott noch vor den Menschen.

Die Russisch-Orthodoxe Kirche gilt als „Staatskirche“ mit bedenklicher Nähe zu Putin. Wie ist diese Nähe historisch gewachsen?
WINKLER: Die Russisch-Orthodoxe Kirche hat zur Zeit des Kommunismus sehr gelitten. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ist es zu einem Wiedererstarken der Orthodoxie gekommen. Putin und Medwedew haben erkannt, dass für die russische Seele die Orthodoxie ein wesentlicher Identitätsstifter ist. In diesem Sinne haben das Moskauer Patriarchat und der Präsident immer enger zusammengearbeitet. Es wurde sogar das Bild einer „Symphonie von Staat und Kirche“ geprägt. Es kam auch zu hohen finanziellen Zuschüssen für die Kirche. Klöster und Kirchen wurden wiederaufgebaut. Dafür hat die Kirche den Präsidenten und seine Politik unterstützt. Die Kirche ist damit natürlich auch in die Falle getappt, dass sie vom Staat immer wieder instrumentalisiert wird.

Wie ist die Haltung des Moskauer Patriarchats in diesem Krieg?
WINKLER: Die Russisch-Orthodoxe Kirche sieht die Ukraine als ihr kanonisches Territorium. Das heißt nicht notwendigerweise, dass die Ukraine auch politisch angeschlossen werden müsste. Sie kann als unabhängiger Staat schon existieren. Aber die jüngsten Aussagen des Moskauer Patriarchen Kyrill I., dass die Feinde Russlands alle „Kräfte des Bösen“ sind, zielt auf die kirchliche Einheit von Weißrussland, Russland und Ukraine hin. Damit strapaziert er wieder ein überholtes Geschichtsbild und bezieht sich auf die Welt des 10. Jahrhunderts.

Welche Auswirkung hat der Krieg auf die Weltorthodoxie?
WINKLER: Die Lage wird sicher noch angespannter. Wir haben es grundsätzlich mit eigenständigen orthodoxen Kirchen zu tun. Allerdings versuchte das russische Patriarchat in den vergangenen Jahren konsequent seinen Einflussbereich auszudehnen. So hat sie erst kürzlich begonnen, in Afrika eigene Diözesen zu errichten. Das ist eigentlich das kanonische Gebiet des griechischen Patriarchats von Alexandrien. Auch das erhöht die Spannungen.

Ökumenische Bestrebungen von Orthodoxie und Katholischer Kirche wird das nicht fördern …

WINKLER: Diese innerorthodoxe Auseinandersetzung macht es für uns nicht einfacher. Es gibt gute Beziehungen zwischen dem Papst und dem ökumenischen Patriarchen Bartolomaios. Aber wir bemühen uns auch um die Beziehungen zu Moskau.

Wie sehen Sie die künftige Stellung der russischen Orthodoxie?
WINKLER: Dass Patriarch Kyrill keine klare Sprache spricht, außer dass die ukrainische Orthodoxie eigentlich zu ihm gehört, sehe ich durchaus als Problem. Die Kirche wird hier von der Politik vereinnahmt, und ich fürchte, dass ihr diese „Symphonie von Staat und Kirche“ irgendwann massiv schaden wird.

Könnten die Kirchen zum Frieden beitragen?
WINKLER: Es ist ein gutes Signal, dass faktisch alle Kirchen zum Frieden aufgerufen haben. Jüngst hat auch der Weltkirchenrat die Aggression Russlands klar verurteilt. In der Ukraine selbst helfen Kirche und kirchliche Institutionen den Menschen. So stehen Kirchengebäude als Schutzräume zur Verfügung, auch jene der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats.

Papst Franziskus ruft immer wieder zum Frieden auf. Wie beurteilen Sie seinen Einfluss?
WINKLER: Mich hat unglaublich beeindruckt, wie der Papst zu Fuß zum russischen Botschafter gegangen ist. Die Kraft eines Papstes, die so vermittelt wurde, ist unvorstellbar. Das Bescheidene und Wahrhaftige an ihm ist da wieder deutlich zutage getreten und war für den Botschafter fast beschämend. Diese Bußhaltung des Papstes entwickelt ein Potenzial, das für mich ein ganz starkes Friedenszeichen darstellt. Da entsteht eine spirituelle Kraft mit einer ganz großen Symbolik.

Zur Person
Univ.-Prof. Dr. Dietmar Winkler wurde 1963 in Wolfsberg geboren. Er studierte in Graz und Innsbruck Theologie, Deutsche Philologie und Alte Geschichte. 1995 Promotion in Innsbruck und 2000 Habilitation in Graz. Seit 2005 ist er Professor für Patristik und Kirchengeschichte in Salzburg. Neben zahlreichen wissenschaftlichen Aktivitäten, Vortrags- und Forschungsreisen ist er Gründer des ZECO (Zentrum zur Erforschung des Christlichen Ostens) und Konsultor im „Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen“.

Patriarch Kyrill und Vladimir Putin: „Symphonie von Kirche und Staat“ | Foto: Foto: kath.ch/novski
Der gebürtige Kärntner Univ.-Prof. Dietmar Winkler ist Experte für die gesamte Ostkirche. | Foto: Foto: puls/greil
Autor:

Sonntag Redaktion aus Kärnten | Sonntag

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