Liturgiewissenschafter Stefan Kopp
Auch Online führt ein Weg zu Gott
Ihr jüngstes Buch hat den Titel „Online zu Gott?!“ Wie beurteilen Sie aus liturgiewissenschaftlicher Sicht die jüngsten Entwicklungen? Führt ein Weg zu Gott auch durch das Internet?
Kopp: Ja, schon. Ich würde eben sagen: Es führt auch online ein Weg zu Gott, ohne sich davon allerdings alles zu erwarten. Das wäre eine Überforderung und würde weder dem Anspruch noch der Wirklichkeit gerecht werden. Denn die Feier des Glaubens ist vor allem Begegnung in Präsenz. Die jüngsten Entwicklungen haben dennoch einen verstärkten Digitalisierungsschub gebracht, aus dem man für die Zukunft etwas lernen kann.
Es gab im Frühjahr, als die Live-streamings einsetzten, teils harsche Kritik. Prof. Tück etwa meinte, man könne die Realpräsenz nicht durch eine Virtual-Präsenz ersetzen. Wie stehen Sie zu diesen kritischen Stimmen?
Kopp: Ich teile die kritische Einschätzung von Jan-Heiner Tück im Wesentlichen. Zu Recht erinnerte er daran, dass es Grenzen gibt, Realität in leiblicher Präsenz durch Virtualität in medialer Präsenz zu ersetzen. Ich sehe zwar die intentionale Mitfeier von Gottesdienstübertragungen auch via Livestream als einen Wert, der gerade in diesem Jahr wichtiger geworden ist, und bin beeindruckt, wie professionell das zum Teil ermöglicht wurde. Wenn das in der Praxis allerdings zum Normalfall würde, wäre damit eine wesentliche Dimension der Liturgie verdunkelt – die leibliche, sinnenfällige, präsentische, ohne die es nicht geht. Die Sakramente haben eine notwendige menschliche und – im wörtlichen Sinn – materielle Dimension. Die Überlegungen, digitale Grenzen zu überwinden, waren zum Teil nicht nur theologisch fragwürdig, sondern auch skurril. Manches an ohnehin schon vorhandenen Schieflagen hat die Corona-Krise bisher auch und gerade im liturgischen Bereich wie ein Scheinwerfer beleuchtet.
Gibt es aus Ihrer Sicht theologische „Mindeststandards“, die erfüllt werden müssen?
Kopp: Auf jeden Fall. Vor allem amts- und liturgietheologische, pastorale und rezeptionsästhetische Standards scheinen mir wichtig: Medial, sozusagen durch das Auge der Kamera vermittelte Gottesdienste können als „Einbahn-Kommunikation“ erwünschte oder eben auch nicht erwünschte Vorstellungen wecken.
Können Eucharistiefeiern ohne reale Gemeinschaft und ohne Kommunionempfang die Zukunft sein?
Kopp: Natürlich können und werden Eucharistiefeiern ohne reale Gemeinschaft und ohne Kommunionempfang nicht die Zukunft sein. Doch mir gab es im Zusammenhang mit der Frage, ob ein Priester alleine die Messe feiern kann und soll, in den letzten Monaten zu viel Polemik. Vielfach war von einem überholten Liturgieverständnis die Rede und von „Geistermessen“, die ohne Volk gefeiert werden. Meines Erachtens wurde dabei nicht genug berücksichtigt, dass es dabei nicht um die Rechte von Priestern und nicht um eine demnächst (wieder) gewöhnliche Normalform geht. Ich habe deshalb in einem Interview zum Osterfest 2020 gesagt: Der Auftrag Jesu „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ muss weiterhin erfüllt werden. Auch unter den gegebenen Umständen müssen wir das wachhalten, was die Mitte unseres Glaubens ist. Wenn das aufgrund der äußeren Rahmenbedingungen gerade nicht anders geht, ist die Zelebration des Einzelnen eine wichtige Form der Stellvertretung, und virtuelle Formen sind eine Ergänzung zu den realen. Und wenn mehr möglich ist, bitte sofort mehr: zunächst im kleinen Kreis, zumindest mit den liturgischen Diensten bzw. mit wenigen Menschen, die die Ortsgemeinde in ihrer Vielfalt vertreten. Zumindest im kleinen Kreis konnte ich selbst Ostern beispielsweise in unserer Universitäts- und Marktkirche in Paderborn feiern.
Natürlich ist mir bewusst, dass es bei dieser Frage unter Priestern Fehlformen geben kann und auch gegeben hat, die den Eindruck einer „Privatzelebration“ vermittelt haben. Dem muss ich natürlich aus theologischer Sicht oder auch als kirchliche Autorität eine klare Absage erteilen und eindringlich daran erinnern: Liturgie ist immer Feier der ganzen Kirche. Aber ich muss deshalb – sprichwörtlich gesagt – nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und kann das Engagement so vieler würdigen, mit einer Notsituation umzugehen und das sicherzustellen, wovon die Kirche lebt.
Sehen Sie theologische Unterschiede zwischen den traditionellen TV-Übertragungen und den neuen Livestreams?
Kopp: Abgesehen von Qualitätsfragen – traditionelle TV-Übertragungen in ORF und ZDF werden ja bis heute mit einem hohen technischen und logistischen Aufwand bewerkstelligt – ist für mich theologisch die Frage spannend: Ist es (intentionale) Mitfeier oder eine Aufnahme zu „Dokumentationszwecken“, die ich mir nicht nur gleichzeitig mit der Feier, sondern auch später jederzeit in einer Mediathek abrufen kann? Im Prinzip besteht heute kein Unterschied mehr zwischen den beiden genannten Typen; TV-Übertragungen sind ja seit Längerem auch zeitversetzt abrufbar. An meinem Lehrstuhl in Paderborn wird versucht, diese Frage auch in einem Promotionsprojekt zu vertiefen, dem sich Benjamin Krysmann widmet. Er ist Mitherausgeber des Bandes „Online zu Gott?!“, war mein Mitarbeiter und ist jetzt Pressesprecher des Erzbistums Paderborn.
Das Internet bietet ja unterschiedlichste Möglichkeiten der Kommunikation und des Dialoges. Derzeit werden seitens der Kirche zumeist die Streamings von Gottesdiensten und Messfeiern genutzt. Sollte das Angebot ausgeweitet werden?
Kopp: Ich denke, dass wir auf den Erfahrungen der gegenwärtigen Zeit aufbauen und das Gute behalten bzw. weiter ausbauen sollten. Gerade unter dem Eindruck der letzten Monate und mit dem damit verbundenen Digitalisierungsschub sind die Themen Digitalität, Medialität und auch Virtualität für Liturgie und Kirche der Gegenwart und Zukunft wichtiger geworden. Ich sehe sie als Ergänzung zu leiblicher Präsenz, die für die Kirche sowie für ihre Liturgie und Pastoral essenziell sind. Ein Erfolgsrezept der Kirche war zu allen Zeiten, dass sie die Medien zu nutzen wusste, die sich jeweils angeboten haben. Warum sollte das nun bei digitalen Medien anders sein? Das heißt jedoch nicht, dass die Kirche sich die Fülle von digitalen Möglichkeiten ohne Schaden der Sache einfach unreflektiert aneignen darf.
Der erste Lockdown hat gezeigt, dass danach deutlich weniger Menschen die hl. Messe in der Kirche gefeiert haben. Der Papst warnte vor einer medialen Kirche ohne Präsenz. Bewegen wir uns Ihrer Meinung nach in diese Richtung?
Kopp: Eine mediale Kirche ohne Präsenz ist auch für mich undenkbar. Dass nach dem ersten Lockdown deutlich weniger Gläubige an Messfeiern teilgenommen haben, gibt in der Tat zu denken. Aus der Soziologie wissen wir heute, dass für längere Zeit unterbrochene Gewohnheiten – wie z. B. ausgesetzte Rituale – von Menschen in dieser Form nicht wieder aufgegriffen werden. Das sollte uns als Kirche umso mehr ermutigen, „hybride“ Formen zu fördern, also Formen in Präsenz und digital, die sich ergänzen, wie es eben von den Rahmenbedingungen her geht. Der Auftrag des Herrn sollte – im wahrsten Sinne des Wortes – „medial“, also mit allen heute zur Verfügung stehenden Mitteln, unter Berücksichtigung der aktuell geltenden gesetzlichen Regeln, erfüllt werden.
Autor:Gerald Heschl aus Kärnten | Sonntag |
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