Zwischenzeiten - Gedanken von Sr. Silke Mallmann CPS
Gefräßige Raupen
Eric Carle, der Autor der „Kleinen Raupe Nimmersatt“, ist gestorben. Ich erinnere mich noch gut an die durchgefressenen Seiten des Bilderbuchs und wie ich versuchte, meinen Finger durch das Loch im Apfel und in der Birne zu stecken. Wir lernten, dass Raupen ganz schön gefräßig, aber auch ganz schön sympathisch sein können. Und als die kleine Raupe sich dann in ihrem Kokon verpuppte und am Ende des Buchs als wunderschöner Schmetterling erschien, war uns allen klar, dass die vorher gefressenen Löcher ihren Sinn hatten. – Wenn ich mir die kleine Raupe mit Erwachsenenaugen betrachte, dann fallen mir zwei Aspekte auf. Es gibt Menschen, die sich wie die Raupe in jeder Situation durchfressen, egal wie groß der Schaden ist, den sie hinterlassen. Egoisten, denke ich schnell und vergesse oft, dass ich ihnen mit diesem Urteil die Chance nehme, sich zu verpuppen und als Schmetterling wieder aufzutauchen. Und die Erfahrung des Lockdown: Ich sehe uns selbst als kleine Raupen. Haben wir nicht auch alle Chancen genutzt, die uns zur Verfügung standen, jeden Apfel mal kurz zu durchbohren, jede Birne mal eben anzuknabbern? Wohnt in uns nicht auch diese Gier des Nimmersatten? Dann der Lockdown: natürliches Stadium im Leben einer Raupe. für uns eher ungewohnt. Wir wurden auf uns selbst zurückgeworfen. Die Raupe nützt ihre Chance, erlaubt die Verwandlung, entfaltet am Ende ihre Flügel, fliegt leicht und beschwingt von Blume zu Blume und gibt so Leben weiter. Und wir? Wenn wir jetzt beginnen, unsere Flügel wieder zu entfalten, sind wir Verwandelte? Wofür entscheiden wir uns: nimmersatte Raupe oder schillernder Schmetterling?
Autor:Sonntag Redaktion aus Kärnten | Sonntag |
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