Fastenserie II
aufdecken: Hinsehen und aushalten

Sprache formt unser Bewusstsein. Leicht wird sie benutzt, um durch Darstellung oder auch Verschweigen die Realität zu manipulieren. Der Beitrag dieser Woche überlegt, inwieweit wir uns der Realität stellen bzw. sie schönzureden versuchen.
von Klaus Einspieler

Die Sprache formt unser Bewusstsein. Deshalb wird sie auch häufig missbraucht, um Sachverhalte in besserem Licht erscheinen zu lassen, als sie es verdienen. Eine andere Art der Verschleierung ist das Verschweigen. Vorkommnisse nicht zu benennen, heißt, ihre Realität und Tragweite nicht anzuerkennen. Damit können diese eine unheilvolle Dynamik entwickeln. Konflikte können unbemerkt vor sich dahinschwelen und sich zu einem gefährlichen Brand entwickeln. Diese Erfahrungen zeigen, dass wir mit der Sprache ein Instrument in Händen halten, das es uns ermöglicht, uns der Wirklichkeit zu stellen oder sie schönzureden und über unsere Abgründe hinwegzusehen.
Der Evangelist Johannes sieht die Welt in einem erbarmungswürdigen Zustand. Sie hat sich zunehmend von Gott entfernt und ist zu einem Ort der Finsternis geworden. Diese Abkehr von Gott hat sie immer tiefer in die Entfremdung geführt: von Gott und sich selbst. Ein Neubeginn ist nur möglich, wenn man sich dem Geist Gottes öffnet. In seinen Abschiedsreden entfaltet Jesus die Rolle des Geistes in fünf Sprüchen. Dabei nimmt er eine Doppelrolle ein: Für jene, die glauben, ist er der Beistand, gleich einem Anwalt, der in einem Verfahren für seinen Mandanten einsteht.

Der Geist und die Wahrheit

Der Welt gegenüber aber ist er der Ankläger, der dem Beschuldigten vor Augen führt, was dieser lieber verbergen würde. Der Beistand, der die einen zu Söhnen und Töchtern Gottes macht, überführt also die anderen der Sünde. Diese aber ist für Johannes zunächst keine moralische Verfehlung. Ihr tiefster Grund ist das Misstrauen Gott gegenüber, die Weigerung, an ihn zu glauben. Ebendies fördert der Geist zu Tage. Er hält der Welt einen Spiegel vor, in dem sie ihr ungeschminktes Gesicht sieht und erschrickt, als wäre es die Fratze des Teufels.
Nun könnte man den Eindruck gewinnen, dass Christen diesem Geschehen enthoben sind. Bei der Lektüre der Briefe des Johannes wird jedoch bald deutlich, dass auch sie wieder den unglückseligen Zuständen der Welt erliegen können. Die Geschichte der Kirche, aber auch unsere Lebensgeschichte bieten genügend anschauliche Beispiele dafür. Insofern ist es klug, die „Welt“ nicht nur in unserem Umfeld, sondern auch in uns selbst zu suchen und zu fragen, wie sehr wir bereits wieder ihren subtilen Verstrickungen verfallen sind.
Ohne dass die Wahrheit ans Licht kommt und wir ehrlich auf das Vergangene blicken, gibt es keine Versöhnung. Gerade hier bedürfen wir der Hilfe des Geistes. Paulus vergleicht den Geist Gottes mit dem menschlichen Geist. Weil wir Menschen sind, hat jeder von uns einen Geist nach Menschenart. Er hilft uns, wahrzunehmen, was in uns ist. Nennen wir dies Selbsterkenntnis oder Selbsterfahrung. Freilich ist dies ein schwieriges Unterfangen. Allzu oft verbergen sich hinter lauteren Motiven unlautere Interessen. Selten begegnet uns das Böse so eindeutig, dass uns keine Ausrede mehr einfällt. Zu oft reden wir die Verhältnisse um uns und in uns schön. Paulus sagt, den Christen wäre zum menschlichen Geist auch noch Gottes Geist geschenkt. Wie unser menschlicher Geist der Selbsterkenntnis dient, so eröffnet der Heilige Geist einen Zugang zu Gott. Ohne ihn kann man Gott nicht wirklich erkennen. Es fehlt sozusagen das passende Instrument dafür. Nur durch ihn können wir ermessen, was uns von Gott geschenkt worden ist. Er verleiht uns eine neue Sprache, diese Wirklichkeit auch zu benennen. Er befähigt uns, unser Dasein aus der Perspektive Gottes zu betrachten.

Schlüssel zur Versöhnung

Dieser Geist ist so etwas wie ein Schlüssel auf dem Weg zur Versöhnung. Er ermöglicht einen umfassenden Blick auf unser Leben. Er schenkt uns die Kraft, ins Licht zu halten, was wir lieber verbergen würden. Er hilft uns, zu sagen: Das habe ich getan. Das ist mein Anteil am Geschehen. Er macht uns fähig, uns in die Hände jener zu begeben, die wir verletzt haben. Er macht uns andererseits aber auch frei von den Fesseln der Vergangenheit und hilft uns, zu vergeben. Ohne diesen Geist ist Versöhnung nicht möglich. Sie beginnt dort, wo Menschen ehrlich auf das Geschehene blicken und bereit sind, ihre Sicht durch jene der Mitmenschen zu ergänzen und es darüber hinaus noch wagen, aus der Warte Gottes hinzusehen und auszuhalten, was zerrüttet und zerbrochen ist.

Autor:

Gerald Heschl aus Kärnten | Sonntag

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