Pandemie der Verschwörungsideologien
Corona: Eine Verschwörung?
Zu allen Übeln, die die Corona-Pandemie mit sich bringt, beflügelt sie auch noch Verschwörungsideologien. Ein Überblick
von Lambert Jaschke (Referent für Weltanschauungsfragen)
Bilder von Demonstrationen gegen behördliche Anti-Corona-Maßnahmen aus den USA, Deutschland, aber auch Österreich geistern derzeit durch die Medien. Öffentlich seine Meinung zu äußern, ist ein Grundrecht, nicht aber die Gesundheit anderer zu gefährden, indem der Mindestabstand nicht eingehalten und kein Mund-Nasen-Schutz getragen wird, wie es bei diesen Kundgebungen häufig zu beobachten ist. Befremdlich sind auch die hochgehaltenen Transparente: „Masken sind unwürdig!“ und „Es reicht!!! Wir sind gegen Corona-Impfung!“ Obwohl es die noch gar nicht gibt, klingt das noch verständlich, doch was „Gib Gates keine Chance“ oder „Gegen 5G-Ausbau“ oder gar ein einsames „Q“ mit der Corona-Krise zu tun haben, erschließt sich erst, wenn man in die (Un-)Tiefen des Internets abtaucht.
Alternative Wahrheiten
Dort findet man sich in Diskussionsforen und auf „alternativen“ Informationsportalen wieder, die zu wissen meinen, was wirklich hinter dem SARS-CoV-2-Erreger und dem „Lock Down“ steckt und von den „Mainstream-“ oder gar „Lügenmedien“ angeblich verschwiegen wird: Das Virus – manche sprechen von einem militärischen Kampfstoff – sei aus einem Labor in Wuhan entwichen oder eine Schöpfung der Pharmaindustrie, um Impfstoffe teuer verkaufen zu können. Dahinter stünde – so eine weitere Variante – die „Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung“, die u. a. Virenforschung und Impstoffentwicklung finanziert und zudem ein Großspender der WHO ist. Das passt besonders Menschen ins Konzept, die hinter Impfungen den Versuch wittern – womöglich mittels heimlich eingepflanzter Mikrochips –, Menschen zu kontrollieren oder gar zu töten. Oder: Das Virus sei eigentlich harmlos oder eine bloße Erfindung, um die Einschränkung bürgerlicher Grundrechte und Freiheiten zu rechtfertigen oder die Erkrankungs- und Todesfälle zu erklären, die in Wahrheit auf den Ausbau der 5G-Mobilfunktechnologie zurückzuführen seien. Es geht aber noch extremer: Der Corona-Lockdown soll eine groß angelegte Befreiungsaktion von entführten Kindern ermöglichen, die angeblich in unterirdischen Lagern gefangen gehalten, gefoltert und getötet werden, um ihnen ein Verjüngungselixier namens „Adrenochrom“ abzuzapfen.
Wie im Mittelalter ...
Das erinnert frappant an mittelalterliche antisemitische Ritualmordlegenden. Die dazugehörige „Rahmenerzählung“ nennt sich „QAnon“ wegen des unbekannten Urhebers „Q“ (s. oben) und hat den „heldenhaften“ Kampf Donald Trumps und seiner Getreuen gegen den „Deep State“, eine angebliche geheime Schattenregierung der USA aus Politikern, Bankiers, Hollywoodstars etc., zum Inhalt.
Alte Verschwörungsmythen sind offenbar nicht passé und lassen sich zusammen mit den neuen wunderbar in angebliche „Superverschwörungen“ integrieren, die Juden, Jesuiten, Freimaurer, Illuminaten und – warum auch nicht? – reptiloide Außerirdische und zuoberst eine nicht näher bezeichnete „Elite“ als Hauptakteure einer allumfassenden „Neuen Weltordnung“ sehen.
Verschwörungstheorien haben und hatten stets in Zeiten gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Krisen und Umbrüche Hochkonjunktur. Neu sind die effizienteren Verbreitungswege. An die Stelle gedruckter Postillen und realer Zirkel sind vielfach soziale Netzwerke und Internetforen getreten, was die „Echokammer“ und die „Filterblase“ noch verstärkt: Sucht man hauptsächlich nach derartigen Inhalten, stellen sich die Suchmaschinen darauf ein. Außerdem bewegt man sich vorzugsweise in Foren, die die eigene Meinung widerspiegeln. Als MultiplikatorInnen wirken zudem nicht nur „Sektengurus“, politische AgitatorInnen und Bewegungen, sondern immer wieder auch Promis der Unterhaltungsbranche und leider bisweilen auch Kirchen-Repräsentanten, wie z. B. das „Corona-Manifest“ zeigt, das einem Erzbischof und seinen Mitstreitern – auch innerkirchlichen – Tadel eingebracht hat.
Autor:Gerald Heschl aus Kärnten | Sonntag |
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