Argentiniens Chaco und Corona:
Zwischen Hunger und Angst vor dem Virus
Kein anderes südamerikanisches Land ist von Europa so geprägt wie Argentinien. Viele Österreicher verbinden mit dem Land Tango, Lebensfreude, landschaftliche idyllische Weite und riesige Rinderherden. Die Idylle trügt.
„Wir sterben eher durch Hunger als durch ein Virus.“ So lautet der dramatische Appell einer Angehörigen der indigenen Gruppe der Wichí im äußersten Norden Argentiniens, im Chaco.
Hier war schon vor Ausbruch der aktuellen Corona-Krise sprichwörtlich „Feuer am Dach“. Sieben Kinder aus der indigenen Gemeinschaft der Wichí sind zu Beginn dieses Jahres an Unterernährung gestorben. Die indigenen Gemeinschaften, die über Jahrhunderte als Jäger und Sammler ihre Ernährung sicherten, sind durch die massiven Abholzungen und Landvertreibungen zu Almosenempfängern im eigenen Land geworden: Ihres Lebensraumes beraubt, sind sie heute gezwungen, ihre Nahrungsmittel bei Volksküchen, Caritas-Ausspeisungen oder in Privathäusern zu „sammeln“. Für Kinder ist die kostenlose Schulmahlzeit die einzige sichere tägliche Nahrungsquelle.
Wasser steht nur sehr eingeschränkt zur Verfügung, die Familien müssen sich täglich auf den Weg begeben, um zu ihrer Mindestration zu kommen. Hautkrankheiten, Durchfälle und Tuberkulose sind weit verbreitet. Durch die Corona-Ausnahmesituation wird indigenen Menschen eine Behandlung in den Krankenhäusern derzeit verwehrt.
Auch Argentinien verhängte im Zuge der Corona-Pandemie Ausgangssperren, sperrte Grenzen, Schulen, Geschäfte. Die seit 19. März geltenden Maßnahmen bringen die indigenen Gemeinschaften in schwerster Notlage: Der Zugang zu Lebensmitteln, Wasser und Gesundheitsversorgung ist für sie abgeschnitten. Gleichzeitig nehmen Berichte über Polizeiübergriffe und rassistische Beschimpfungen zu.
Hyperinflation (50 %) und ein Rekord-Schuldenberg engen den Spielraum der Regierung Fernández zur sozialen und wirtschaftlichen Abfederung der Corona-Krise enorm ein. Bis zu 40 % der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, die Gefahr sozialer Unruhen ist groß, die Polizei in Alarmbereitschaft. Der Zusammenbruch des Gesundheitssystems droht.
Was in Österreich heißt „zu Hause bleiben“, bekommt im Chaco eine andere Dimension. Das heißt nämlich nicht, dass jede Kleinfamilie sich auf ihre vier Wände zurückziehen kann. Kinder, Junge und Alte drängen sich auf engstem Raum in oft provisorisch zusammengezimmerten Unterkünften, die nicht Platz für alle bieten „Zu Hause“ heißt also, innerhalb der Nachbarschaft, der Gemeinschaft zu bleiben. Tritt ein Corona-Fall auf, wird die gesamte Gemeinschaft unter Quarantäne gesetzt.
Hamsterkäufe und Verteuerungen treffen die Ärmsten der Armen in besonderem Maße. Die prekäre Ernährungssituation in Argentinien verschlechtert sich für die Indigenen zusätzlich.
Incupo, langjähriger Projektpartner von Welthaus Graz, unterstützt die Menschen im Chaco seit Jahren in Sachen Ernährung, Gesundheit und setzt Aufklärungs- und Rechtshilfemaßnahmen gegen Vertreibungen.
Nun wird intensiv mit elektronischen Medien und Tools daran gearbeitet, dass auch die indigenen Menschen, die vielfach in entlegenen Gegenden leben, alle Informationen in ihrer jeweiligen Sprache zu den Schutzmaßnahmen und den Unterstützungen der Regierung erhalten. Vor Beginn der Ausgangssperre wurden Hilfspakete mit Lebensmitteln, Hygieneartikel und Wasser von INCUPO in die Dörfer gebracht. INCUPO-MitarbeiterInnen dürfen im Augenblick selbst nicht aus ihren Häusern. Sie sind im Dauerkontakt mit den Behörden, damit die allernotwendigste Versorgung der indigenen und Kleinbauerngemeinschaften gemacht wird.
Wenn auch Sie die Arbeit von Welthaus unterstützen möchten:
Spendenkonto: AT79 2081 5000 0191 3300
Autor:Viktoria Schichl aus Graz |
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