Corona-Virus in der Ukraine:
Leben von der Hand in den Mund
Die westukrainische Stadt Ivano Frankivsk ist von Graz nur knapp 1.000 km entfernt und dennoch eine andere Welt. Während man bei uns kaum neue Covid-19-Fälle zählt und die medizinische Versorgung funktioniert, ist die Situation in der Ukraine mehr als bedrückend. Welthaus unterstützt die Menschen mit Hilfspaketen.
Die Ukraine kommt mit vergleichsweise wenigen gemeldeten Fällen derzeit noch relativ gut in den Corona-Statistiken vor: Am 7. Mai waren gerade mal knapp 13.700 Erkrankte gemeldet, 340 Personen sind an Covid-19 gestorben. Soweit die offiziellen Zahlen. Doch die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Es mangelt an Tests, Masken, Schutzanzügen und Atemschutzgeräten. Die Menschen gehen auch nicht zu Untersuchungen. Warum auch: In den Krankenhäusern der Ukraine fehlt es an allem. Das Gesundheitssystem war schon vor Ausbruch der Corona-Krise marod. Die ukrainischen Gebiete mit einer überdurchschnittlichen Zahl an Corona-Infizierten sind – neben Kiew – die westukrainischen Bezirke Ternopil, Tschernovzy und Ivano-Frankivsk. Ein Drittel der Infizierten sind MitarbeiterInnen von Krankenhäusern.
Strenge Ausgangsbeschränkungen und Schulschließungen gelten zumindest bis 22. Mai; der Höhepunkt der Erkrankungen steht noch bevor. Unterrichtet wird wie in Österreich online, allerdings unter anderen Bedingungen: Vielfach werden die SchülerInnen nicht erreicht, manchmal können Aufgaben zumindest per Telefon erfragt werden.
Das Land steht still
Nur systemrelevante Betriebe dürften geöffnet haben, der öffentliche Verkehr ist großteils eingestellt. In Kiew etwa werden nur noch MitarbeiterInnen von Unternehmen befördert, die kritische Bereiche des Lebens in der Stadt versorgen. Dies sind Berufe im Gesundheitswesen, Strafverfolgung, kommunale Dienstleistungen, Lebensmittelgeschäfte, Apotheken und strategisch wichtige Bereiche. Diese erhalten spezielle Ausweise. Der Besuch von Parks, Erholungsgebieten, Sport- und Spielplätzen (mit Ausnahme von Spaziergängen mit Hunden) ist verboten.
Viele Menschen haben ihre Arbeit verloren, staatliche Hilfen gibt es nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Menschen nicht offiziell angestellt waren – somit hätten sie ohnehin keine Ansprüche. Zeitgleich steigen die Lebensmittelpreise, manche Grundnahrungsmittel werden knapp.
Hilfe von Welthaus und lokalen Partnern
Der Verein Viden betreibt mit Unterstützung von Welthaus Graz ein Jugendzentrum in Konotop. Das Projekt bietet außerschulische Aktivitäten für Jugendliche und ihre Familien aus ärmlichsten Verhältnissen, sowie Betreuung von und Freizeitgestaltung mit behinderten Kindern. In Ivano-Frankivsk und dem ostukrainischen Volnovacha werden gemeinsam mit der griechisch-katholischen Caritas sozial schwache Familien und Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet im Donbass unterstützt.
Die Welthaus-Projektpartner in Ivano-Frankivsk, Konotop und Volnovacha führen ihre Projektvorhaben unter geänderten Bedingungen so gut es geht weiter. Der Bedarf an psychologischer Unterstützung ist enorm gestiegen. Zukunftsängste, Depressionen, Gewalt in den Familien sind die großen Herausforderungen. Hinzu kommt der gestiegene Bedarf an humanitärer Hilfe, da in den Familien einfach kaum Geld für den täglichen Lebensmitteleinkauf vorhanden ist.
"Die Menschen haben in guten Zeiten wenig gehabt, jetzt haben sie gar nichts mehr." weiß Svetlana Shut vom Verein Viden in Konotop.
Natalia Kosakewicz, Caritasdirektorin in Ivano-Frankivsk beschreibt die derzeitige Situation als eine angespannte angstbehaftete Ruhe vor der Sturm – viele Probleme werden erst nach der Pandemie sichtbar werden. Positiv sieht sie die angestrebte Dezentralisierung – vielfach sind die Regionen und einzelne Gemeinden mit ihren BürgermeisterInnen sehr aktiv und nehmen ihre Verantwortung wahr. So gibt es zunehmend mehr Schutzmaßnahmen, Masken, Desinfektionsmittel.
620 Hilfspakete gegen die ärgste Not
Lebensmittelpakete und Hygieneartikel werden in dieser Ausnahmesituation je nach Möglichkeit von den Projektpartnern an die Familien ausgegeben. Allein in Ivano-Frankivsk wurden zu Ostern 620 Lebensmittelpakete verteilt. Die steigende Armut wird dort auch bei der Ausspeisung sichtbar – hier stellen sich neuerdings Familien aus der Mittelschicht um ein kostenloses Mittagessen an. Auch in Konotop verteilt Svetlana Shut Lebensmittel und Hygieneartikel an die ärmsten Familien.
Besonders prekär ist die Lage im Osten, wo immer noch um die Bodenschätze des Donbass-Gebietes mit Russland gekämpft wird: Entlang der Frontlinie leben viele alte Menschen und Kinder, oftmals in einer Pufferzone zwischen den verfeindeten Parteien. Chronische Erkrankungen sind gestiegen, ebenso wie Lungenentzündungen, Magenprobleme und Allergien. Mit verantwortlich ist auch die geringe Qualität der Lebensmittel, die im Zuge des Konflikts verfügbar ist. Vor allem den Kindern fehlt es an frischem Obst oder Gemüse, an Fleisch und Proteinen.
Durch die Grenzschließungen an den Demarkationslinien sind viele in den Frontgebieten zudem von ihren Familien und Versorgungseinrichtungen abgeschnitten, die Pensionszahlungen können nicht abgeholt werden. So wird auch in Volnovacha erste Nothilfe mit dem Verteilen von Lebensmitteln und Hygiene-Artikeln geleistet. In den Gebieten Donezk und Luhansk sind bisher nur wenige Covid-19-Fälle bekannt. In den angrenzenden, von prorussischen Separatisten kontrollierten Teilen soll es auch noch keine Coronavirus-Fälle geben. Verlässliche Informationen liegen allerdings nicht vor. Stattdessen gibt es Berichte über dutzende Fälle verdächtiger Lungenentzündungen.
Wie sich die Lage weiter entwickeln wird, ist unklar. Klar ist, dass diese Pandemie die armen Menschen in mehrfacher Weise hart trifft.
Wenn auch Sie die Arbeit von Welthaus unterstützen möchten:
Spendenkonto: AT79 2081 5000 0191 3300
Autor:Viktoria Schichl aus Graz |
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