Medizin-Ethnologin Doris Burtscher arbeitet für Ärzte ohne Grenzen
Wo Heiler/innen helfen - und wo nicht
Mit Krankheit und Gesundheit gehen Menschen überall anders um. Um die Projekte von Ärzte ohne Grenzen daran anzupassen, beschäftigt sich Medizin-Ethnologin Doris Burtscher mit dem Zugang der Bevölkerung zu Krankheit und Heilung. Traditionelle Heiler/innen haben dabei eine große Bedeutung.
Elisabeth Willi
Medikamente gegen das HI-Virus verhindern nicht nur den Ausbruch der tödlichen Krankheit AIDS - sie vermeiden auch, dass der infizierte Mensch andere mit dem Virus ansteckt. In vielen Ländern Afrikas sind diese Medikamente gratis erhältlich, dennoch nehmen recht viele Infizierte sie nicht. Warum? Oder wieso werden, z. B. in Teilen von Niger, keine Moskitonetze als Schutz vor Malaria verwendet? An den Kosten liegt es nicht immer. Antworten auf Fragen wie diese sucht Medizin-Ethnologin Doris Burtscher.
[h3]Zugang zu Krankheit[/h3]
Doris Burtscher, eine gebürtige Vorarlbergerin aus Nüziders, ist studierte Anthropologin und arbeitet seit 2001 für Ärzte ohne Grenzen in Wien. Sie hat z. B. im Irak die hohe Rate an Kaiserschnitten untersucht und in Kirgisistan den Umgang von Patient/innen mit Tuberkulose. Sie beschäftigt sich - allgemein gesprochen - mit dem traditionellen Zugang zu Krankheit und Heilung, vor allem in afrikanischen, aber auch asiatischen Ländern. Sie fragt nach, wohin sich Menschen im Krankheitsfall wenden und warum manche erst spät ins Krankenhaus kommen. Sie erforscht, wie ein Krankenhaus wahr- und die Hilfe von Ärzte ohne Grenzen angenommen wird. Dazu führt Doris Burtscher vor Ort Gespräche mit Heiler/innen, traditionellen Hebammen, Dorfbewohner/innen, Personal in Krankenhäusern oder Gesundheitszentren, mit Patient/innen und deren Angehörigen. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen führen zu mehr Verständnis für eine Kultur und dadurch können die Projekte von Ärzte ohne Grenzen bestmöglich an die Gegebenheiten und an die Bedürfnisse der Bevölkerung angepasst werden.
Traditionelle Heiler/innen.
Die Medizin-Ethnologin hat sich bereits in ihrer Doktorarbeit mit traditionellen Heiler/innen beschäftigt, und das Thema taucht auch oft bei ihrer Arbeit auf. Eine ihrer letzten Forschungsfragen lautete: Wie arbeiten die Heiler/innen in den Dörfern von Sierra Leone? Wie beeinflussen sie den Umgang der Menschen mit Krankheit? Wie immer bei ihren Aufträgen bereitete sich Doris Burtscher zuerst in Wien intensiv vor - durch Lesen von Literatur, Ausarbeitung von Fragebögen und der genauen Planung ihrer Reise. Die Einsätze im Land selbst dauern meist fünf bis sechs Wochen. Danach folgt die Aufarbeitung des Erforschten in Wien.
Die Studie über Heiler/innen in Sierra Leone brachte das Ergebnis: „Viele Menschen lassen eine Krankheit zuerst bei einem Heiler oder einer Heilerin in ihrem Dorf behandeln“, so Doris Burtscher. Die westliche Medizin, die in den Gesundheitszentren angeboten wird, wäre für viele zwar auch interessant. Doch hielten zum einen äußere Umstände davon ab wie der lange Weg und die nicht verhandelbaren Kosten. Zum anderen nähmen sich Heiler/innen - oft im Gegensatz zu den Mitarbeitenden im Gesundheitszentrum - viel Zeit für die Menschen. Sie genössen ihr Vertrauen und seien meist auch Berater/innen bei Problemen im zwischenmenschlichen Bereich.
Ursachen.
Für die Dorfbewohner/innen sei es zudem wichtig, eine Antwort zu erhalten, weshalb jemand krank geworden ist - ein/e Heiler/in gebe sie ihnen. Der Ausbruch einer Krankheit werde meist auf zwei Ursachen zurückgeführt: Einer äußerlichen wie Infektion, Kälte/Hitze, schlechtes Essen oder Überarbeitung und einer sozio-kulturellen wie Disharmonie mit dem sozialen Umfeld, mit Gott, den Geistern und den Ahnen.
Wenn eine Behandlung nicht anschlage, wisse der/die Heiler/in dafür ebenfalls eine Erklärung, z. B. einen bösen Geist. Mit Gebeten und/oder Ritualen solle dieser dann beruhigt werden. Helfe auch das nichts, schickten viele Heiler/innen die Menschen zu den Gesundheitszentren - in denen sie selbst sich übrigens durchaus auch behandeln ließen.
Beziehung.
In dieser sowie anderen Studien hat Doris Burtscher Grundelegendes herausgefunden: „Wohin immer die Menschen sich wenden - ganz wichtig ist die Beziehung zwischen Patient-Heiler oder Patient-Arzt.“ Dementsprechend schule Ärzte ohne Grenzen das Personal in den Gesundheitszentren für einen vertrauensvollen Umgang mit den Menschen. Für die Hilfsorganisation sei auch das Zusammenspiel von Heiler/innen und Schulmedizin wesentlich: „Wir können nur erfolgreich sein, wenn wir mit den Heiler/innen zusammenarbeiten, da sie eine sehr wichtige Position bei den Menschen einnehmen. In meinen Berichten empfehle ich das immer“, erklärt die Medizin-Ethnologin.
Antworten.
Und wie lauten nun die Antworten auf die eingangs gestellten Fragen? Moskitonetze verwendeten die Menschen deshalb nicht, weil sie die Malaria nicht immer den Mücken zuschrieben, sondern u. a. dem heftigen Wind, der während der Regenzeit über das Land zieht. Für das Nicht-Einnehmen der HIV-Medikamente gebe es mehrere Gründe: Die Pillen müssen täglich genommen werden, ein Leben lang. Mit dieser Regelmäßigkeit hätten manche Menschen Probleme. „Außerdem ist man als HIV-Infizierter ja nicht krank und fühlt sich gesund. Manche glauben deshalb, dass sie die Tabletten absetzen können“, erklärt Doris Burtscher. Wieder andere seien der Gesundheitsaufklärung gegenüber müde und hören lieber auf Ratschläge wie jenen, dass das Trinken von Knoblauchwasser bei einer HIV-Infizierung helfe. Dieser Rat werde in manchen Gegenden übrigens auch aktuell im Hinblick auf Corona gegeben.
Dies zeigt: Die Arbeit von Doris Burtscher, der Gesundheitsaufklärung und von Ärzte ohne Grenzen ist - nach wie vor - sehr wichtig und notwendig. «
Zu Person und Sache
Doris Burtscher wuchs in Nüziders auf, studierte in Wien Kultur- und Sozialanthropologie und promovierte in Ethnomedizin. Bisherige Einsatzorte: Sierra Leone, Swasiland, Demokratische Republik Kongo, Afghanistan, Uganda, Kirgisistan, Indien, Irak, Tschad, Libanon, Niger, Liberia, Simbabwe, Kenia und Mauretanien.
Ärzte ohne Grenzen wurde 1971 gegründet. Heute sorgt die unabhängige Hilfsorganisation in rund 70 Ländern für rasche und kompetente medizinische Nothilfe. Zu ihren Aufgaben gehören zudem Bewusstseinsbildung und der Einsatz für Menschenrechte. Jährlich sind etwa 3000 Ärzte, Psychologen, Krankenschwestern und Pfleger, Hebammen und Logistiker unterwegs.
Autor:KirchenBlatt Redaktion aus Vorarlberg | KirchenBlatt |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.