„Es geht weniger in die Tiefe“

Foto: GMR Speziallabor

Thorsten Mayr ist sowohl Religions- als auch Ethiklehrer und hat Einblick in beide Welten. Wie er das Verhältnis beider Fächer sieht, erklärt er im Interview.
Die Fragen stellte Lisa-Maria Langhofer

Der aktuelle debattierte Gesetzesvorschlag enthält Religion und Ethik als Pflichtalternativen. Andere Positionen fordern Ethik als Pflichtgegenstand für alle, Religion aber nur als Freifach. Welche Auswirkungen hätte diese Variante?
Thorsten Mayr: Die Auseinandersetzung mit der eigenen Religion und dem eigenen Glauben ist etwas, das dadurch nach meinem Gefühl sicher verloren ginge. Im Religionsunterricht gibt es die Möglichkeit, Fragen oder Themen zu diskutieren und dabei in die Tiefe zu gehen. Viele Themen werden auch von den Schüler/innen selbst angeregt, und bei vielen Fragestellungen schwingen religiöse Vorstellungen bereits mit – etwa beim Tod. Im Ethikunterricht ist die Auseinandersetzung weniger intensiv, es wird nicht so sehr in die Tiefe gegangen.

Sie unterrichten sowohl Religion als auch Ethik. Was sind die Herausforderungen dabei?
Mayr: Ethik ist auf jeden Fall weltlicher. Wenn ich dieses Fach unterrichte, habe ich immer das Gefühl, dass ich ganz neutral sein muss. Es ist schwieriger, Position zu beziehen, weil ich über niemanden „drüberfahren“ will. Ethik ist immer die Reflexion gewisser unterschiedlicher Moralvorstellungen, und als Ethiklehrer kann ich nur der Spiegel sein, aber ich kann den Schüler/innen wenig direkt anbieten. Als Religionslehrer kann ich ihnen ein Vorbild im Glauben sein, zu dem sie kommen und Fragen stellen können. Anders gesagt: Die Frage nach Gott und die Beschäftigung mit dem persönlich Religiösen sind Dinge, die nur der konfessionelle Unterricht abdeckt. Er hat neben der Wissenskomponente auch eine spirituelle Komponente.

Wie unterscheiden sich die Inhalte?
Mayr: Die Inhalte sind sehr ähnlich, aber der Zugang ist jeweils ein anderer. Nehmen wir das Thema Glück: Im Religionsunterricht geht man hier auch in die biblische, jüdisch-christliche Tradition hinein und schaut: Welche Botschaft hat Jesus für ein gelingendes Leben? Im Ethikunterricht bleibt man eher im Philosophischen oder auf der inhaltlichen Ebene. Wenn ich etwa eine Muslima in der Klasse habe, könnte ich mit ihr zwar über den Islam sprechen, aber weit nicht so gut wie ein islamischer Religionspädagoge. Das sehe ich als Schwierigkeit beim Ethikunterricht.

Was würde die Einführung von „Ethik für alle“ mit Religion nur als Freifach für die religiöse Praxis der Schüler/innen bedeuten?
Mayr: Sollte der verpflichtende Religionsunterricht wegfallen, wird sicherlich die Sichtbarkeit und der Stellenwert von Religion in der Schule auch nachlassen. Ich habe die Befürchtung, dass auch die Spiritualität verloren gehen könnte. Natürlich kann sich Ethik mit verschiedenen Religionen beschäftigen, aber weniger mit Spiritualität. Vielleicht bekommen die Schüler/innen diese von Zuhause mit, aber sie haben nicht mehr die Möglichkeit, sich in der Schule damit auseinanderzusetzen. Ich kenne zum Beispiel einen Schüler, dessen Familie gar nicht religiös ist, und der seine eigene Religiosität erst über die Schule kennengelernt hat. Beim reinen Ethikunterricht und der Nicht-Beschäftigung mit der eigenen Religion sehe ich auch großes Konfliktpotential.

Was genau meinen Sie damit?
Mayr: Je weniger man Religion in der Schule oder in der Gesellschaft sichtbar macht, desto größer ist die Gefahr, dass es radikaler wird. Das beste Mittel gegen Radikalismus ist Wissen über die eigene Religion. Je mehr ich weiß, desto weniger bin ich beeinflussbar.

In der Öffentlichkeit herrscht mancherorts eine gespaltene Meinung zum Religionsunterricht. Was sagen die Schüler/innen?
Mayr: Was die Schüler/innen am Religionsunterricht schätzen, ist, dass sie als eigene Persönlichkeit wahrgenommen werden. Sie trauen sich hier mehr zu sagen, was sie denken und was sie beschäftigt. Es tut ihnen gut, wenn man ihnen einfach mal zuhört. Das merke ich spätestens dann, wenn sie sagen: „In anderen Fächern werden wir nicht so wertgeschätzt, da geht es mehr um Leistung.“

Glauben Sie, dass sich viele vom Religionsunterricht abmelden würden, wenn er nicht mehr verpflichtend wäre?
Mayr: Die Befürchtung habe ich. Einfach aus dem Grund, weil es für sie eine Zusatzstunde wäre, die von ihrer Freizeit abgeht. Ein paar Schüler/innen werden das Angebot sicher annehmen, aber die meisten nicht. Da stellt sich für mich die Frage, wie ich als Lehrer die Schüler/innen erreichen kann.

Was wäre für Sie die ideale Lösung?
Mayr: Der aktuelle Gesetzesvorschlag ist recht gut – viel besser als der jetzige Zustand, wo sich Schüler/innen entweder abmelden und eine Freistunde haben oder in Religion gehen. Ich habe oft bemerkt, dass an Schulen, die in der Nähe ein Einkaufszentrum oder andere Möglichkeiten zum Zeitvertreib haben, die Freistunde sehr attraktiv ist. An Schulen, wo es das nicht gibt, langweilen sich die abgemeldeten Schüler/innen. In der Hinsicht finde ich den Vorschlag sehr gut, weil es den Religionsunterricht stärkt. Aber ich würde mir eine größere Bereitschaft der unterschiedlichen Religionsgemeinschaften wünschen, im Unterricht ab und zu etwas auch interkonfessionell zu machen. Die katholische Klasse könnte etwa den islamischen Unterricht besuchen, und die Schüler/innen stellen sich gegenseitig Fragen. So kann voneinander gelernt werden. Was ich mir sehr schwer vorstellen kann, ist Ethikunterricht ab der Volksschule. Was soll man da unterrichten?

Autor:

KirchenZeitung Redaktion aus Oberösterreich | KirchenZeitung

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