Geschichte in Enns wieder entdeckt
Zunftfahnen erzählen
Die zerschlissenen Zunftfahnen, die am Dachboden des Museums Lauriacum Enns lagerten, waren unansehnlich, und dennoch hüteten sie ein spannendes Stück Stadtgeschichte. Nach und nach werden die Fahnen restauriert und lassen die Bedeutung der Handwerker-Zünfte neu erstrahlen.
Das wirtschaftliche und soziale Leben einer Stadt war im Mittelalter und weit darüber hinaus ohne Zünfte nicht vorstellbar. Die Zusammenschlüsse der verschiedenen Berufsgruppen zu Zünften sorgten für ein geordnetes Zusammenleben. „Die älteste nachweisbare Zunft in Enns ist die ‚St. Anna-Schiffsleute-Zeche‘ aus dem Beginn des 14. Jahrhunderts“, erklärt Gottfried Kneifel.
Der Obmann des Museumvereins Lauriacum-Enns gerät ins Schwärmen: „Wir sind heute zu Recht auf das ASVG, das allgemeine Sozialversicherungsgesetz vom 1. Jänner 1956, stolz, aber die ‚St. Anna-Zeche‘ hat dazumals schon ihren Mitgliedern eine rudimentäre soziale Absicherung geboten.“
Witwen von Schiffsleuten bekamen eine jährliche Zuwendung. Das war eine herausragende Sozialleistung. Die Zünfte waren im Auftrag des Stadtrates mit der Versorgung der Bevölkerung betraut. Sie wurden einerseits kontrolliert, wie zum Beispiel aus den Aufzeichnungen der Ennser Bäcker hervorgeht, die heute noch in deren Zunftlade liegen. Das Brot musste eine bestimmte Größe haben und der Preis war auch festgesetzt.
Ordnung
Die Obrigkeit hat durchaus öfter eingegriffen. Aus dem Jahr 1550 liegt ein Magistratsbeschluss vor, dass die Bäcker ihre Ordnung, die sie ohne Wissen des Stadtrates beschlossen hatten, widerrufen müssen. Was damit genau gemeint ist, geht aus dem Dokument nicht hervor. Die Aufforderung ist aber unmissverständlich: Sie müssen Beugl, Kipfl, Laibl, Semmel und anderes so backen, wie sie es gelernt haben.
Dann heißt es, die Ennser Bäcker sollen es so halten wie die von Linz und Steyr. Andererseits hatten die Zünfte eine weitgehende Selbstverwaltung, was die Aufnahme von Lehrlingen oder die Anzahl der Betriebe betraf. Die Ennser Bäcker durften auch untereinander vereinbaren, wer im Jahresrhythmus das besondere Gebäck, die Bretzn, anbieten durfte. So hat man unnötige Konkurrenz vermieden und sich die Geschäfte gut aufgeteilt.
Zu den herausragenden Tagen im Jahr gehörte für die Handwerker der Festtag des Schutzheiligen ihrer Zünfte. Diese Feiertage begannen mit einem Hochamt in der Kirche, es folgten das Öffnen der Zunftlade, Beratungen, traditionelle Zeremonien wie Aufnahme von Mitgliedern und ein Festmahl. Jede Zunft hatte ihre Fahne, auf der im Regelfall ihr Zeichen und ein Heiliger als Patron zu sehen waren. Hinter ihrer Zunftfahne versammelten sich die Berufsgenossenschaften und man nahm auch gemeinsam an Fronleichnams- und Bittprozessionen teil.
Aufschwung
„Zünfte haben wesentlich zum wirtschaftlichem Aufschwung und zum Zusammenhalt der ältesten Stadt Österreichs beigetragen. Denn Zünfte hatten nicht nur wirtschaftliche Zwecke zu erfüllen, sondern waren auch Akteure des religiösen, sozialen und gesellschaftlichen Lebens einer mittelalterlichen Stadt“, betont Kneifel.
Eine besondere Leistung vollbrachte im Jahr 1501 die Zunft der Ennser Zimmerleute. Im Auftrag der Stadt war sie wesentlich am Bau einer Donaubrücke beteiligt. Das Lärchenholz besorgte der Stadtbaumeister, die Zimmerer errichteten von Jänner bis Pfingsten die Brücke. Bei der für die Wirtschaft wichtigen „Pfingstmesse“ war sie schon benutzbar. „Heute diskutieren wir über eine zweite Donaubrücke bei Mauthausen schon zehn Jahre, früher hat man sie in dreizehn Wochen gebaut“, meint Kneifel mit einem Augenzwinkern.
Stilles Ende
Bierbrauer, Fleischer, Müller, Bäcker, Schiffer, Fassbinder und weitere Berufsgruppen waren in Enns und allen Städten in Zünften organisiert. Mit der aufkommenden Industrialisierung gerieten die Zünfte immer mehr unter Druck, mit der Einführung der Gewerbebehörde im Jahr 1861 hatte die Selbstverwaltung der Berufsgenossenschaften schließlich ihr Ende. Die Zünfte hatten ihre rechtlichen Kompetenzen an den Staat abgegeben, doch zur weltlichen und religiösen Gemeinschaftspflege blieben sie noch bestehen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts lösten sie sich aber nach und nach auf. In Enns hat sich die Schiffsleutezunft 1952 als letzte aufgelöst.
Neuer Glanz
Die Fahnen von zehn Zünften blieben in der Pfarrkirche St. Marien. Im Zuge der Umgestaltung des Gotteshauses in den 1960er-Jahren kamen sie ins Museum Lauriacum und landeten am Dachboden.
Nun sollen mit Kosten von 60.000 Euro alle nach und nach renoviert werden und einen Platz im neuen Museumsteil im Schloss Ennsegg finden, der ab 2023 die Sammlung zur Stadgeschichte beherbergen soll. (Römerzeit-Sammlung bleibt am Hauptplatz.)
Gottfried Kneifel freut sich, dass seine Bitte um Sponsoren auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Drei Fahnen sind schon erneuert: „Es ist ein Verständnis für die Erhaltung da, weil man sich von den Zünften für unsere Zeit etwas abschauen kann: Es ist der Stolz auf das Handwerk und die Kraft der Gemeinschaft, die die Fahnen symbolisieren.“
Autor:KirchenZeitung Redaktion aus Oberösterreich | KirchenZeitung |
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