Die Verantwortung der Kirche in der Pandemie
Wo die Kirche vorangeht
Die Pastoraltheologin Clara-Antonia Csiszar ermutigt zur Solidarität mit der Gemeinschaft in der Corona-Pandemie.
Die Coronapandemie ist nicht nur eine Frage der Medizin. Sie legt Defizite in der Gesellschaft offen, die vor der Krise zu wenig beachtet wurden, macht die Pastoraltheologin Clara-Antonia Csiszar aufmerksam. Alle sind nun gefordert, ihren Beitrag für die Gemeinschaft zu leisten.
Im Blick auf Corona ist die Rede von der gespaltenen Gesellschaft allgegenwärtig. Wie kam es so plötzlich zu einer Gesellschaft, in der sich ein großes Misstrauen zeigt, im Besonderen zwischen Geimpften und Nichtgeimpften?
Clara-Antonia Csiszar: Das Misstrauen ist nicht plötzlich gekommen. Man braucht nur an die Flüchtlingskrise 2015 zu denken. Da hat sich schon deutlich eine Kluft in der Gesellschaft gezeigt, ganz besonders zwischen Ost- und Westeuropa. Ein Stück weit muss man damit leben und umgehen lernen, denn nicht alle haben die gleiche Einstellung, wie man gesellschaftlich ein Thema bearbeiten soll. Es ist ein ständiges Ringen um das eigene Wohl und das des anderen. Was jetzt diese Meinungsunterschiede fatal macht, ist, dass sie eine ganz konkrete Auswirkung auf unser Leben haben.
Warum ist das Vertrauen so schwierig geworden: in die Wissenschaft, in die Politik und auch in den gesunden Hausverstand?
Csiszar: Weil wir in einer Kultur der Angst leben. Das hat für mich viel mit der Leistungsgesellschaft zu tun. Wir haben Angst, zu kurz zu kommen, und Angst entsolidarisiert. Wenn immer nur Leistung verlangt wird, verliert man seine seelische Beheimatung, seine Mitte, wo Vertrauen genährt werden und wachsen kann.
Was kann man tun, um die Kluft in der Gesellschaft zumindest wieder kleiner zu machen?
Csiszar: Es ist leichter zu sagen, was man nicht tun darf. Man darf nicht emotional auf die Ängste, die Aggression oder die Dummheit von anderen reagieren. Das spaltet weiter. Ich denke, wir sollten versuchen, Vertrauensräume zu schaffen. Das ist extrem schwierig, ich weiß, weil inzwischen Menschen sterben. Aber ich persönlich habe nichts Anderes und Besseres in der Hand.
Wie soll man damit umgehen, dass Menschen Fakten ignorieren, zum Beispiel, dass die Impfung der beste Schutz gegen das Virus ist?
Csiszar: Die Politik hat eine Lösung dafür gefunden: Es kommt die Impfpflicht. Das wird helfen. Die Frage ist, was wir daraus lernen und wie wir das Gelernte auf die Ebene der Bildung herunterbrechen werden.
Was sagen Sie zum Verhalten der Kirchen in der Krise?
Csiszar: Wenn ich auf die Kirche im deutschen Sprachraum schaue, meine ich, dass sie die Menschen mit ihren Ängsten im Blick hat und gleichzeitig zum Impfen motiviert. Ich merke auch eine Sensibilität, was die Feier von Gottesdiensten betrifft. Die Vorschrift, ganz einfach und schlicht zu feiern, entspricht der Situation, wenn man auf die COVID-Stationen und Intensivstationen in den Spitälern schaut. Da würden keine pompösen Gottesdienste passen. Es läuft nie alles perfekt, aber ich merke in der Kirche Österreichs viel guten Willen, Sensibilität und einen achtungsvollen Umgang mit den Menschen.
Wenn Sie über den deutschen Sprachraum hinausschauen …
Csiszar: In meiner Heimat Rumänien beträgt die Impfquote – Gott sei Dank Tendenz steigend – nur 32 Prozent und es passiert nicht selten, dass man als Geimpfter beschimpft wird. Die Kirchen feiern Gottesdienste, als ob alles normal wäre, und gleichzeitig sterben in den Krankenhäusern 500 Menschen pro Tag. Das passt nicht zusammen. Der rumänische Patriarch hat sich erst jetzt impfen lassen. Es gibt aber auch ein beeindruckendes Beispiel, wo die Kirche vorangeht.
Wo ist das?
Csiszar: Bischof László Német leitet die Diözese Zrenjanin im Nordosten Serbiens. Dort beträgt die Impfquote in der Bevölkerung zwischen 25 und 30 Prozent. Der Bischof hat seine Priester zur Impfung verpflichtet – um ein Zeichen zu setzen und konkret auch Nächstenliebe zu zeigen. Es gibt Situationen, da muss man als Kirche vorangehen. Bis auf zwei Priester sind alle seiner Aufforderung nachgekommen. Die beiden Priester, die aber nicht in die Diözese inkardiniert waren, haben sie bereits verlassen.
Könnte die Diözese Zrenjanin auch für die Diözese Linz oder alle Seelsorgerinnen und Seelsorger in Österreich ein Vorbild sein?
Csiszar: Schwer zu sagen. Ich wäre vorsichtig. In dem Kontext von Serbien war diese Entscheidung des Bischofs wichtig und richtig. Denn hier entscheidet jede Impfung über Leben und Tod.
Denkt man an das Vorjahr, wurde man im Adventlockdown von Anregungen für religiöse Feiern beinahe überflutet. Jetzt ist es sehr still. Ist der Kirche die Kraft ausgegangen?
Csiszar: Heuer ist natürlich das Moment der Neuheit weg, aber ich sehe schon eine Reihe von Angeboten. Und wenn wir uns im Zustand der Unzufriedenheit ertappen: Ärgern wir uns nicht länger als eine halbe Stunde am Tag und nutzen wir die andere Zeit, um das zu tun, was wir können, wofür wir ganz persönlich verantwortlich sind. «
Autor:KirchenZeitung Redaktion aus Oberösterreich | KirchenZeitung |
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