Kreuzschwester M. Johanna Brandstätter wird 100
„Pionierin“ von Beruf
Was die Kreuzschwester M. Johanna Brandstätter aus Grünburg seit 1955 als Missionarin in Indien aufgebaut hat, füllt ein Buch. Ihre Mitschwestern überreichten ihr auch zum 100. Geburtstag am 21. Februar 2022 ein Buch, das sie aus den Lebenserinnerungen von Sr. Johanna gestaltet haben. Körperlich eingeschränkt, aber voller Lebensfreude und geistiger Frische, hat die Jubilarin in der indischen Stadt Bangalore, ihrem Alterswohnsitz, gefeiert.
Bereits Tage vor dem großen Festtag herrschte im Schwesternhaus in Bangalore ein reges Kommen und Gehen. Aus den Stationen, in denen Sr. M. Johanna tätig war, sind Abordnungen gekommen. Manche waren 24 Stunden mit dem Autobus unterwegs, andere reisten mit dem Flugzeug an.
„In einigen Dörfern wurden die Gemeinschaftshäuser nach ihr benannt, sogar ein ganzes Dorf trägt ihren Namen“, erzählt Sr. Flory D’Souza. Sie ist Provinzoberin der Kreuzschwesternprovinz Südindien und sagt über Sr. Johanna: „Sie ist eine wirkliche Missionarin. Die Leute lieben sie.“ Sr. Flory, die der KirchenZeitung aus Indien rund um das Geburtagsfest berichtet, würde das Handy gerne an Sr. Johanna weiterreichen, doch für ein Telefongespräch reicht doch das Gehör der Jubilarin nicht mehr.
Aufschwung
Über das, was Sr. Johanna in den Jahrzehnten ihres Einsatzes geleistet hat, kann man nur staunen. Der Begriff „Pionierin“ beschreibt sie am treffendsten. Nach zwei Jahren als Englischlehrerin an der Kreuzschwesternschule in Nordindien schickte ihre Oberin die damals 35-jährige Schwester in das rund 700 Kilometer entfernte Gholeng, um dort eine High School für Ureinwohner-Mädchen aufzubauen. Das machte sie.
Dass die überwiegende Zahl der Mädchen der Region aber dennoch keinen Unterricht erhalten konnte, ließ ihr keine Ruhe. Daher initiierte sie Grihini-Kurse (Hausfrauen-Kurse), damit die Mädchen nicht als Analphabetinnen und ohne die Grundfertigkeiten einer Haushaltsführung in die Ehe gehen mussten. „Das war damals schon so: Wenn jemand keine Matura hatte, hatte er keine Chance“, erklärt Sr. M. Elisabeth Brandstätter, ebenfalls Kreuzschwester und Sr. Johannas leibliche Schwester. Sr. Elisabeth ist der um fünfzehn Jahre älteren Schwester 1959 nach Indien gefolgt und lebt nun in der Kreuzschwesternkommunität in Linz.
Die Grihini-Bewegung
Zurück nach Indien: Wenn schon keine Matura möglich war, die einjährigen Grihini-Kurse boten zumindest eine Basis-Ausbildung, die auch für das Selbstbewusstsein der Ureinwohner-Mädchen von großer Bedeutung war. Aus einem ersten Kurs entstand eine Bewegung, die schließlich an die 35.000 Mädchen erreichte und die etwa drei Jahrzehnte hindurch lebendig war – bis sie wegen der veränderten Bildungslandschaft so nicht mehr gebraucht wurde.
Alle sind Mitarbeiter
Während die Grihini-Kurse so richtig aufblühten, war Sr. Johanna schon wieder weitergezogen. „Sie hat in Ambikapur in einer Lehmhütte angefangen, in die auch Ratten regelmäßig zu Besuch kamen“, weiß Sr. Elisabeth. Wenige Jahre später standen dort eine Schule und ein College, an dem die Mädchen sogar ein Bachelor- und Master-Studium absolvieren konnten. Und ein großes Krankenhaus.
Sr. Elisabeth betont: „Die Berufung von Sr. Johanna waren die Gründungen. Sie hat gespürt, was die Menschen brauchen.“ Ihre Schwester sei eine Pionierin, aber keine Einzelkämpferin: „In all ihre Projekte bezieht sie die Leute ein, die Mitschwestern, die Laienlehrerinnen, egal ob Christen, Hindus, Muslime oder Shiks. Sie hat die Fähigkeit, mit allen zusammenzuarbeiten.“
„Mensch ist Mensch“, beschreibt die resolute Schwester Johanna vor vielen Jahren im Gespräch mit der KirchenZeitung ihre Überzeugung. Was sie nicht erwähnt hat, ergänzte damals ihre Schwester: „Sie zeichnet eine ungeheure Zähigkeit aus. Sie kriegt von den Beamten alles.“ Sr. Johanna erklärte dazu ihr Vorgehen: „Ich behandle sie mit Ehrfurcht und Liebe, aber oft muss man bis zu dreißigmal hingehen, bis sie etwas verstehen und ihre Zustimmung geben.“
Auch ihren Schwestern gegenüber hatte sie manchmal Erklärungsbedarf. „Die Oberen sind oft gar nicht nachgekommen mit dem, was sie gebraucht hat“, erzählt Sr. Elisabeth. „Es war für sie nicht einfach mitzuvollziehen, was meine Schwester wieder Neues vorgehabt hat. Und immer wieder.“
Von Mahatma Ghandi fasziniert
Aber alle haben gespürt, dass dieser Einsatz der Liebe zu den Menschen entsprungen ist. „Sie war in Indien so verliebt, dass sie um die Staatsbürgerschaft angesucht hat“, sagt Sr. Elisabeth. „Auch die Verehrung für Mahatma Ghandi spielte dabei eine Rolle. Als ihr in Delhi nach vielen Schwierigkeiten die Staatsbürgerschaft verliehen wurde, war sie wie im Himmel.“ Sie war bereit, dafür sogar die österreichische Staatsbürgerschaft aufzugeben. Die erhielt sie aber nach ganz kurzer Zeit wieder zurück und ist nun Doppelstaatsbürgerin.
Blühende Ordensprovinzen
Sr. Johanna ist die einzige der 98 europäischen Kreuzschwestern, die seit 1894 bis heute in Indien waren, die auch die indische Staatsbürgerschaft besitzt. Doch unabhängig davon ist schier unvorstellbar, was die Schwestern aus Europa aufbauen konnten: Zurzeit wirken 1.053 indische Kreuzschwestern in fünf Provinzen. Nur noch zwei Schwestern sind aus Österreich: Sr. M. Johanna Brandstätter und Sr. M. Luzia Grabner, beide im Ruhestand. Dass der Orden in Indien so aufgeblüht ist, daran hat auch Sr. Johanna ihren Anteil.
Die Provinzoberin Sr. Flory ist durch die Beziehung zu Sr. Johanna in den Orden gekommen: „Wie sie stets noch immer über alles Aktuelle informiert ist, ihr scharfer Verstand – mit ihr sich zu unterhalten, ist immer eine große Inspiration.“ Sie habe ihr Leben für die Kongregation der Kreuzschwestern in Indien gegeben. „Sie ist eine wirkliche Missionarin, bis heute“, betont Sr. Flory. Dem kann Sr. Elisabeth nur zustimmen: „Sr. Johanna hat sich die Begeisterung für Jesus, für sein Werk und die Mission bis zum heutigen Tag erhalten. Ihre Begeisterung ist in all den Jahren um nichts schwächer geworden. Diese Hingabe bewundere ich.“ «
Sr. M. Johanna Brandstätter gehört dem Orden der „Barmherzigen Schwestern vom heiligen Kreuz“ an. Das M. steht für Maria, wird zwar nicht ausgesprochen, ist aber Bestandteil des Namens. Sr. M. Johanna wurde am 21. Februar 1922 in Grünburg geboren. Während der Kriegszeit arbeitete sie am elterlichen Bergbauernhof, sofort nach Kriegsende trat sie bei den Kreuzschwestern in Linz ein, absolvierte die Lehrerbildungsanstalt und legte 1951 ihre Erstprofess ab. Zwei Jahre war sie danach Lehrerin in St. Angelus (heute das Schulzentrum der Kreuzschwestern) in Linz. Die Wartezeit für das Indienvisum nutzte Sr. Johanna zum Englischstudium in London. 1955 konnte sie schließlich nach Indien ausreisen und ihrer Missionsberufung folgen.
Autor:KirchenZeitung Redaktion aus Oberösterreich | KirchenZeitung |
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