Chancen und Überforderungen des Strafrechts
Wenn man strafen muss, ist es zu spät

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Rechtsprofessor Alois Birklbauer erläutert im Interview, was das Strafrecht leisten kann und was nicht. 

Im Jänner wurde in Wien ein 70-jähriger Räuber zu 17 Jahren Gefängnis verurteilt. Mehr als 40 Jahre seines Lebens hat er schon hinter Gittern verbracht. Ob das Strafsystem hier gescheitert ist, fragt die KirchenZeitung den Rechtsprofessor Alois Birklbauer.

„Die Strafe hat die Resozialisierung des Täters zum Ziel. Wenn jemand seine überwiegende Lebenszeit wegen stets neuer Delikte im Gefängnis verbringt, ist man mit diesem Ziel gescheitert“, sagt Birklbauer, der das Institut für Strafrechtswissenschaften an der Kepler-Universität in Linz leitet.

Ist der 70-jährige Räuber ein besonderer Einzelfall? Es gäbe insgesamt eine relativ hohe Rückfallrate, sagt der Jurist. Ein genauer Blick lohne sich sich aber: „Rückfälle sind bei der nicht ganz so schweren Kriminalität, zum Beispiel bei vorsätzlicher Körperverletzung, viel höher als bei der Schwerkriminalität. Zum Teil haben sich da bei den Tätern Erziehungsmuster durchgesetzt und das Problem liegt in der Vorprägung der Persönlichkeit.“

Sozialpolitik

Birklbauer gehört zu den Verfassern eines Katalogs von Geboten guter Kriminalpolitik. Dort heißt es: „Die beste Kriminalpolitik liegt in einer guten Sozial- und Wirtschaftspolitik.“ Der Linzer Strafrechtler ergänzt, dass man Sozialpolitik weit sehen müsse und Bildungspolitik stark hereinspiele: „Verpasste Bildungschancen und kriminelle Karrieren stehen in Relation. Das Fehlen männlicher Vorbilder im pädagogischen Bereich kann auch einen Einfluss haben.“

Beim Fall des 70-jährigen Räubers weist Birklbauer auf einen anderen Aspekt hin: Hinter den neuen Raubtaten seien offenbar finanzielle Bedürfnisse gestanden. Zwar sind Gefangene mittlerweile in der Arbeitslosenversicherung integriert, um ihnen nach dem Gefängnis einen Neustart zu ermöglichen. Aber für die Pensionsversicherung fehlen einem 70-Jährigen mit Jahrzehnten im Gefängnis die Versicherungsjahre. Das entschuldigt keine Tat, gibt aber eine Erklärung.

Es gab eine Zeit, da wollte man aus Gefängnissen Besserungsanstalten machen. Ist das heute noch ein Thema? „Es war der ursprüngliche Gedanke der Gefängnisse, vertane Chancen in der Sozial- und Bildungspolitik nachzuholen“, sagt Alois Birklbauer. „Das gibt es nach wie vor: Man kann im Gefängnis Lehrabschlussprüfungen und andere Berufsausbildungen machen. Es braucht aber auch ein Zusatzprogramm wie Freigänge, denn es ist schwierig, einem Vogel im Käfig das freie Fliegen beizubringen.“ Insgesamt sieht Birklbauer im Strafvollzug den größeren Reformbedarf als im Strafrecht selbst.

Verhindern oder Vergelten?

Vergeltung ist ein Teil der Begründung von Strafen, aber im öffentlichen Gespräch hat man oft das Gefühl, es sei der einzige Teil. Dabei geht es auch um die künftige Verhinderung von Straftaten (Prävention).

Warum ist der Gedanke so unpopulär, dass man den Verurteilten unterstützt, damit er nicht rückfällig wird und die Gesellschaft so sicherer wird? „Viele Menschen erwarten sich vom ‚Wegsperren‘ die größte Sicherheit. Aber tatsächlich verlassen die allermeisten Straftäter das Gefängnis wieder einmal. Daher wäre es so wichtig, in die Reintegration dieser Personen zu investieren“, sagt Birklbauer. Er verweist auf die niedrigen Rückfallquoten bei den Sexualdelikten: „Untersuchungen zeigen, dass das mit den therapeutischen Angeboten für die Straftäter zu tun hat.“

Das Strafrecht ist stets im Wandel

Laut dem Experten sind neben dem Sexual- und dem Korruptionsstrafrecht zuletzt die größten Änderungen in der organisierten Kriminalität und in Bezug auf terroristische Straftaten geschehen.

Allerdings sieht Birklbauer beim letzten Punkt oft „symbolisches Strafrecht“: „Wir wissen sehr genau, dass man mit der Verschärfung von Straftatbeständen keine Taten verhindern kann. Die Einführung des Straftatbestands ‚Bildung einer religiös motivierten extremistischen Verbindung‘ (entstanden 2021, Anm.) verhindert keinen Terroranschlag.“

Das oberste Gebot guter Kriminalpolitik fordert einen rationalen Zugang. Hier sieht Alois Birklbauer Bedarf beim Umdenken: „Wir müssen uns fragen: Was erreiche ich mit der Strafe? Wenn ich Strafen erhöhe, es aber nicht erreiche, dass weniger Taten begangen werden, ist das nicht rational. Oft muss das Strafrecht für Probleme herhalten, die gar keine Strafrechtsprobleme sind. Es ist ein Versagen der Gesellschaft, sich im Vorhinein nicht der Diskussion zu stellen, sondern für das Nachhinein eine Strafnorm zu erlassen, wenn die Straftat schon passiert ist. Wenn es gelingen kann, mit Bildung Kriminalität zu vermindern, dann sollte das Problem nicht beim Strafrecht landen.“ «

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Autor:

KirchenZeitung Redaktion aus Oberösterreich | KirchenZeitung

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