Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim
Über die Würde und das Leben

Ein Netzbett, wie es zur Unterbringung beeinträchtigter Menschen Verwendung fand. Dem Schutz, auch dem Selbstschutz der Person mag es gedient haben. Aber wie sieht es mit ihrer Würde und Einbeziehung aus?  | Foto:  nie/Kirchenzeitung
  • Ein Netzbett, wie es zur Unterbringung beeinträchtigter Menschen Verwendung fand. Dem Schutz, auch dem Selbstschutz der Person mag es gedient haben. Aber wie sieht es mit ihrer Würde und Einbeziehung aus?
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Bis zu 30.000 Menschen wurden zwischen 1940 und 1944 in Schloss Hartheim ermordet: Menschen mit Behinderung und KZ-Häftlinge. Die nun eröffnete, neu gestaltete Dauerausstellung „Wert des Lebens“ in der Lern- und Gedenkstätte stellt dieses Geschehen in einen größeren Zusammenhang.

Die Nationalsozialisten haben in Hartheim und anderen Tötungsanstalten beeinträchtigte Menschen, die sie für „unbrauchbar“ hielten, getötet. Wie war so etwas möglich? Die Ausstellungskuratoren Brigitte Kepplinger und Florian Schwanninger holen weit aus: Das bis in die Neuzeit vorherrschende christliche Weltbild kennt keine „unbrauchbaren“ Menschen, weil jeder Mensch eine Rolle in Gottes Plan erfüllt. Mit der Aufklärung und der Rationalisierung aller Lebensbereiche wurden der Mensch und sein Leben messbar. Die Industrialisierung brachte konkrete Normvorstellungen mit sich. Mit all diesen Entwicklungen stellte sich die Frage, wie mit Menschen umzugehen sei, die ihre zugedachte Rolle nicht erfüllen können. Das betraf nicht nur behinderte, sondern auch alte und kranke Menschen.

Radikalisierung
Im 19. Jahrhundert kamen Ideen auf, die Entwicklung der Bevölkerung zu mehr „Brauchbaren“ zu steuern, unter anderem über gezieltere Fortpflanzung bzw. Fortpflanzungsverbote (Eugenik). Solche Gedanken waren in allen politischen Lagern mehr oder minder vorhanden. Im Nationalsozialismus kulminierte diese Entwicklung in die massenhafte Ermordung von Menschen, die aus rassistischen oder eugenischen „Gründen“ unerwünscht waren. Eugenische Überlegungen, die sich freilich von den Verbrechen der Nazis abgrenzten, hat es auch danach gegeben, sie wurden im angloamerikanischen Raum von prominenten Forschern vertreten, wie zum Beispiel Hermann J. Muller (Medizinnobelpreis 1946).


Nach 1945

Die Ausstellung beschränkt sich nicht auf die Zeit vor 1945. Sie zeigt auch Entwicklungen danach auf, etwa jene der sozialen Einbindung von Menschen mit Beeinträchtigung. Von „warm, satt, sauber“ bis zu einforderbaren Rechten ist es ein harter und nicht abgeschlossener Weg. Hier und in bioethischen Fragen der letzten Jahre wird die Ausstellung hochaktuell: Wird der Mensch ein „Schöpfer seiner selbst“? Pränatale Diagnostik, In-vitro-Fertilisation, Samen- und Eizellenspende oder Transhumanismus – die technische Ermöglichung „ewigen Lebens“ – sind einige Schlagworte. Nicht der Staat, sondern das Individuum entscheidet nun.
Die Ausstellung lädt zur Reflexion ein, gerade angesichts der Covid-Krise: An der Wand hängen zum Beispiel zwei Zitate deutscher Politiker: „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären“, hatte der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer im vergangenen Jahr gesagt. Dass dieser Satz indiskutabel ist, dürfte allgemein einleuchten, und Palmer hat sich davon distanziert. Aber wie sieht es mit der folgenden Äußerung des Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble aus? „Wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig. Grundrechte beschränken sich gegenseitig. Wenn es überhaupt einen absoluten Wert in unserem Grundgesetz gibt, dann ist das die Würde des Menschen. Die ist unantastbar. Aber sie schließt nicht aus, dass wir sterben müssen.“ Hier kann Diskussion beginnen.
Den Ausstellungsmacher/innen ist, gefördert vom Land Oberösterreich, eine verständliche Präsentation der Inhalte gelungen, die Räume sind nicht überfrachtet. Sehr stimmig ist auch die aktive Inklusion beeinträchtigter Menschen in die Gestaltung. Auf anregende Diskussionen kann man nun hoffen. «

Infos: www.schloss-hartheim.at

Autor:

KirchenZeitung Redaktion aus Oberösterreich | KirchenZeitung

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