Gute Nachbarschaft
Über den Zaun schauen
Man wollte doch nur in Ruhe leben – und landete dann in der Einsamkeit. Ließe sich im „Beziehungsleben“ versuchen, was sich beim Konsum bewährt? Nahversorgung – durch Wertschätzung der Menschen, in deren Nähe man lebt.
Wer wohnt denn da eigentlich?
Ein gutes Gespräch, eine helfende Hand oder sogar ein guter Freund ist oft gar nicht weit entfernt: einfach einmal beim Nachbarn klingeln.
Sich vorwiegend von dem zu ernähren, was in der Nähe wächst, tut nicht nur der Gesundheit gut, es ist auch gut für das Klima. Nahversorgung – mit Produkten aus der Nähe also! Wer sich so ernährt, erlebt mit dem Rhythmus der Jahreszeiten dazu noch den Reiz der Abwechslung. Die Vorfreude auf den ersten grünen Salat, Kirschen oder Tomaten spürt eben nur, wer sie nicht das ganze Jahr über aus aller Herren Länder serviert bekommt. Beim Essen ist es demnach klar: Nahversorgung tut gut.
Was das Zusammenleben betrifft, haben die Gesellschaften in den wohlhabenden Ländern einen anderen Weg gewählt: Ihr Glück suchen Menschen eher in der Distanz – in der Ferne – und im Abstand zu anderen Leuten.
Das große Auseinanderrücken
Wir erlebten mit dem zunehmenden Wohlstand ab den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts ein Auseinanderrücken der Menschen. Die Familien wurden kleiner, die Wohnungen größer. Die Dörfer und Orte weiteten sich aus, um die Städte herum wachsen noch immer die Gemeinden, die wir den Speckgürtel nennen. Die „Lebens-Abstände“ zueinander wurden nun größer angelegt.
Man braucht nur in die vielen in den letzten Jahrzehnten entstandenen Siedlungen zu blicken. Die Menschen wollten nicht mehr in engen Räumen leben, wenn es nur irgendwie möglich war. Sie zogen sich in die Eigenheime zurück und um Ruhe zu haben, schützten sich durch Thujenhecken oder Aluminiumzäune vor unerwünschten Blicken. Die Generationen lebten nun getrennt, oft weit voneinander entfernt. Die Globalisierung der Wirtschaft hat ebenfalls viele Menschen voneinander getrennt.
Ein Parzellenleben
Mehr als zwei Generationen unter einem Dach wurden zur Ausnahme. Waren Kinder da, so hatte natürlich jedes ein eigenes Zimmer. Viele der Häuser sind so gebaut, als zeigten sie ihre „Kehrseite“ in Richtung Straße. Die schöne Seite gilt dem Garten hinter dem Haus. Hier lebte man eben privat. Die Kinder, sobald sie erwachsen waren, suchten das Weite.
Solange die Menschen fit und rüstig sind, fällt ein solches „Parzellenleben“ leicht. Der Garten: mein Hobby! Aber irgendwann wird doch vieles zur Last. Mehr und mehr zeigen sich die Schattenseiten dieses Rückzugs in das Private. Und irgendwann stehen viele alleine da.
Noch wesentlich mehr Menschen als heute werden in den kommenden Jahrzehnten alleine leben. Die Babyboomer-Generation befindet sich im Übergang in das Pensions-Leben. 1963 war das Jahr mit der größten Geburtenrate in Österreich: 134.809 Neugeborene weist das Statistische Zentralamt aus. 2007 wurde die niedrigste Zahl verzeichnet: mit nur 76.250 Geburten in Österreich. Wer wird sich in Zukunft um die vielen älteren alleinlebenden Menschen kümmern?
Beziehungen bauen
Es ist Zeit, nicht nur der öffentlichen Hand alle Verantwortung zuzuschieben, sondern zu schauen, ob man durch die Lebensweise selbst etwas beitragen kann. Wurde das „Beziehungsleben“ möglicherweise zu sehr vernachlässigt – die Wertschätzung der Menschen nämlich, die um das eigene Haus herum leben? Jetzt, wo man jemanden bräuchte, ist niemand da, den man fragen könnte. Aber: das Beziehung-Bauen ist mindestens so wichtig – eigentlich viel wichtiger – als das Häusl-Bauen. Das sollte schon in guten Zeiten geübt werden, nicht erst, wenn es nicht mehr anders geht. Bauen braucht Zeit. Auch das Bauen von Beziehungen.
Wegumkehr zum Miteinander
Die Erfahrungen der fast drei Jahre dauernden Pandemie, das teure Leben heutzutage lassen spüren: Wäre es nicht doch besser, den Weg der Vereinzelung wieder umzukehren – in einen Weg des Miteinanders, der gegenseitigen Hilfe?
Eine konkrete Möglichkeit wäre die neue Wertschätzung der Nachbarschaften, in denen man lebt. Man könnte doch versuchen, Thuje und Aluminium zu überwinden und statt eines Nebeneinanders zu einem Miteinander zu kommen. Beziehungen also, die zu Fuß zu erreichen sind – und die nicht erst eine Anreise benötigen. Sie könnten das Leben bereichern.
Seine Nachbar/innen hat man sich gewöhnlich nicht ausgesucht. Trotzdem hätten sie das Potenzial, zu wichtigen „Lebensgefährt/innen“ zu werden. Dass jemand da ist – in erreichbarer Nähe – ist ein oft unbeachtetes Geschenk, etwas Wertvolles.
Zur Wertschätzung gehört das „Schätzen“. Die Achtung also – und die kommt nicht einfach von selbst.
Weg-Gemeinschaften
Im täglichen Berufsverkehr entdecken manche angesichts der hohen Spritpreise nun doch den Sinn von Fahrgemeinschaften. Wäre es nicht sinnvoll, auch in anderer Hinsicht Weg-Gemeinschaften für das Leben zu knüpfen? Sich Sachen auszuborgen und selber Dinge anzubieten? Mehr „live“ mit den Menschen, die da sind, zu reden, statt nur „Ferngespräche“ zu führen?
Wenn der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben dazu führt, auf den anderen Menschen, auf die Gemeinschaft zu verzichten, führt das in die Beziehungslosigkeit.
Das Glück wächst in Verbundenheit
Wo Selbstständigkeit ohne Beziehung gesucht wird, gibt es kaum Erfüllung, sondern eher die Einsamkeit. Dabei zeigt doch die Erfahrung der meisten Menschen: Das Glück wächst in Verbundenheit und man erlebt und spürt es auch am tiefsten zusammen mit anderen Menschen. Glück will sich mitteilen, wie der/die Fußballspieler/in, der/die ein Tor erzielt, sein/ihr Glück im Freudentanz mit den Spielkamerad/innen teilt.
Anteilnehmen
Das Anteilnehmen und das Anteilnehmen-Lassen an den glücklichen und an den traurigen Momenten im Leben sind ein starkes Bindemittel von Beziehung, sie sind der Zement, der zusammenhält. Das Mitfreuen an den Erfolgen und Erlebnissen anderer gehört ebenso dazu wie das Mitleiden. Vielleicht braucht es nur ein wenig Mut zum Überwinden der Scheu. Weit ist es ja nicht – zur Nachbarschaft.
Autor:KirchenZeitung Redaktion aus Oberösterreich | KirchenZeitung |
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