Familie
Langeweile als Sinn-Problem
Was ist das Gegenteil von Langeweile? Spontan würde man vielleicht sagen: aktiv sein. Langeweile gilt bisweilen fast als Synonym von Nichtstun. Eines von vielen Missverständnissen rund um die Langeweile, meint Soziologin Silke Ohlmeier. Sie bezeichnet den „Flow“ als Gegenteil von Langeweile: das Gefühl, in einer Tätigkeit ganz aufzugehen, vertieft und zugleich konzentriert zu sein.
Aufmerksamkeitsspanne wird kürzer
Ohlmeier hat als Industriekauffrau in einem Busunternehmen gearbeitet. Angetrieben von der Erfahrung extremer Langeweile wurde sie Soziologin und machte die Langeweile zum Thema ihrer Dissertation (und eines Buches). Sie schildert amüsierte oder verblüffte Reaktionen auf ihr Forschungsthema: Heutzutage gebe es doch gar keine Langeweile mehr, sagen Leute beispielsweise. Wer kennt es nicht, bei minimaler Wartezeit an der Haltestelle oder an der Kassa wird sofort das Smartphone gezückt. Doch dies zeigt gleich mehrere Missverständnisse: So gibt es verschiedene Formen von Langeweile. Bei den besagten Alltagssituationen sprechen Soziologen von situativer Langeweile, die sich nie komplett vermeiden lässt. Sie kurzfristig auszuhalten, kann nach Worten Ohlmeiers durchaus hilfreich sein.
Das sehen Psychologen ähnlich. Die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne scheint kürzer zu werden. Schon fünf Minuten Nichtstun sind zu viel – wir holen unser Handy raus, so beschrieb es der Psychologe Marc Wittmann in „Zeit Campus“. Allerdings bleibe von den oberflächlich aufgenommenen Informationen oft kaum etwas hängen, und viele Menschen fühlten sich durch die Reizüberflutung gestresst.
Problematischer ist die chronische Langeweile: Wenn ich mit meinem Partner auf der Couch sitze und denke, die Beziehung ist langweilig geworden – dann kann ich den Moment zwar besser ertragen, wenn ich den Fernseher einschalte. Aber das bedeutet eben auch, das Problem aufrecht zu erhalten, sagt Ohlmeier. Diese Form von Langeweile erleben manche Menschen auch im Beruf – bekannt unter dem Schlagwort „Bore Out“, also Ausgebranntsein wegen Unterforderung. Auch Menschen, die ihr Tun nicht als sinnvoll erleben, können eine Form von Langeweile spüren: Ich bin super-beschäftigt, aber fühle mich leer.
Erfüllte Zeit muss nicht zwangsläufig abwechslungs- und ereignisreich sein.
Ohlmeier zeigt an vielen Beispielen, wie marginalisierte Gruppen auch unter Langeweile zu leiden haben. Etwa gefüchtete Menschen, die in eintönigen Sammelunterkünften auf Arbeitserlaubnis warten; Personen mit chronischen Krankheiten, deren Umfeld erwartet, dass sie sich ausruhen und nichts tun; arbeitslose Menschen, die für Genuss und Zerstreuung wenig Geld zur Verfügung haben. Gleichzeitig müsse erfüllte Zeit nicht zwangsläufig abwechslungs- oder ereignisreich sein.
Als perfekte Mischung für einen „Flow“ gilt es, Gewohntes zu finden und gleichzeitig Neues zu erleben. Und sich einer als sinnvoll erlebten Aufgabe hinzugeben. Ohlmeier sieht Langeweile als Sinn-Problem: Der Bedeutungsverlust von Religion, Brauchtum und Tradition habe „eine Leerstelle hinterlassen, die das Gefühl von Entfremdung oder existenzieller Langeweile begünstigen kann“. Paula Konersmann/KNA
Autor:Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt |
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